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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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sichtbar geworden: häßlicher Krempel stand da, der kaum
    noch einer Säuberung wert schien: das schadhafte Bett, der
    Tisch, dessen Platte locker war und den man nur vorsichtig be- wegen konnte, damit die Füße nicht aus dem Leim fielen, und diese beiden Schränke: hohe braune Kästen, fleckig von Kalk, verzogen vom Regen, und oben besät mit kleinen Kalkstück- chen, die ständig aus der schadhaften Decke nachfielen…
    Eine Unendlichkeit von Schmutz tat sich auf, die ihr jetzt schon Verzweiflung verursachte, und gegen den anzukämpfen sinnlos war. Die Tapete war zerfetzt, der Putz überall rissig, und an manchen Stellen wurden die Placken nur noch durch den Kleister gehalten, der die Tapete an den Putz heften sollte, aber der Kleister hielt nun den Putz.
    Als sie den zweiten Schrank vorsichtig zur Seite schob, hörte sie nur ein leises Bröckeln, Putzteile, die sich hinten gesammelt hatten, kullerten zu Boden, ein paar Hände voll Dreck…
    Eimer um Eimer schleppte sie in die Bude, aber sie brauchte nur zwei Quadratmeter aufzuwischen, und schon war das klare Wasser milchig und dickflüssig von gelöstem kalk, Gips und Sand, und jedesmal, wenn sie den Eimer unten in die Trümmer kippte, blieb ein zähes Sediment, das sie mühsam ausspülen mußte. Jedesmal, wenn sie mit neuem Wasser ins Zimmer trat, blieb sie erschrocken stehen: die Stellen, die sie aufgewischt hatte, waren inzwischen getrocknet und leuchteten weiß, spröde und häßlich, während der Boden, den sie noch zu säubern hatte, eine dunkle und regelmäßige Farbe hatte.
    Auch aus den Fußleisten heraus rieselte es ständig nach, ein besonders feines Geröll, von dem nur wenig genügte, um einen ganzen Eimer Wasser weißlich zu färben und für die weitere
    Reinigung zu verderben…
    Etwas wie Trotz veranlaßte sie, den Kampf fortzuführen, wei- ter Eimer um Eimer zu schleppen, obwohl sie insgeheim wußte, daß es sinnlos war: die Flecken kamen immer wieder hervor, und immer wieder kamen neue Brocken: welch eine Menge Kalk und Gips, Zement und Sand verarbeitet war, erkannte sie erst, als sie einen neuen Sturz auffing und einen ganzen Eimer trok- kenen Dreck herunterschleppte, der hinter dem Bett herausge-
    kullert war und an der Wand nur eine kleine nackte Stelle verur-
    sachte. Sie fühlte nach und stellte fest, daß der Putz lose neben der Wand stand: ein kühler dunkler Spalt war zwischen Putz und Mauerwerk, in den sie ihre Hand hineinstecken konnte, und als sie vorsichtig dagegen klopfte, klang es hohl und geheimnisvoll. Die Decke war uneben, stellenweise hatte sie sich gesenkt unter dem Gewicht der Putzmassen, hatte Risse und Spalten gebildet, eine ganze Geographie feiner Verästelungen, die eines Tages platzen und herunterfallen würden, neue Staubmengen, neue Kalkmassen, die durch Wasser auf dem Boden zum Leben er- weckt würden, eine weiße unausrottbare Fleckigkeit, die wie zäher Ausschlag immer wieder hervorkommen würde…
    Später lag sie auf dem Bett und rauchte, das Gesicht zur Wand gedreht, um die Sinnlosigkeit ihrer stundenlangen Qual nicht zu sehen, dieser Qual, die sich fortpflanzen, die ewig dauern würde. Der Wecker auf der Kommode zeigte fünf Uhr: sieben Stunden hatte sie gearbeitet, unzählige Eimer Wasser geschleppt, aus diesem Trieb heraus, den sie als neu und schrecklich empfand; und der Boden zeigte alle Schattierungen vom leuchtenden Weiß bis zum dunkelsten Grau in einer teuflischen Unregelmäßigkeit: ein fleckiges Denkmal ihrer Mühe.
    Die Kleider klebten ihr am Leibe, schienen auf sie gepappt wie dünner Gummi, der ihr keinen Raum zum Atmen ließ, und sie roch sich selbst: diesen säuerlichen Schweißgeruch und den Dunst von schmutzigem Putzwasser, und das brennende Verlan- gen nach guter Seife und sauberen Kleidern trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie knipste die Zigarette aus und aß langsam etwas Brot, indem sie Brocken um Brocken von der großen Scheibe abpflückte und in den Mund schob…
    Draußen regnete es, Dunkelheit schlug ins Zimmer und milder- te die aufreizenden Spuren ihrer sinnlosen Säuberung, und als sie das Brot gegessen hatte, zündete sie die Zigarette wieder an und lag auf dem Bett, im Rauschen des Regens rauchend und träumend. Sie konnte es nicht verhindern, daß die Tränen ihr übers Gesicht liefen, stoßweise lösten sie sich aus ihr, unaufhalt- sam, heiß, sich schnell abkühlend…
    Sie erschrak, als sie aufwachte, richtete sich auf und sah, daß
    es sechs war. Es schien ihr, als seien

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