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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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nicht, ein sechs Wochen altes Kind kam wohl sofort in den
    Himmel. Darüber brauchte man nicht zu sprechen – aber es
    schien ihm töricht, daß dieses kleine Wesen seine Fürsprecherin sein sollte.
    Er legte den Zigarettenstummel sorgfältig in seine Tabakdose und fragte: »War es deshalb, daß Sie mich baten, einmal zu
    Ihnen zu kommen?« Der Kaplan nickte. »Sie müssen mir ver-
    zeihen… immerhin – ich fühle mich verantwortlich.«
    Hans stand seufzend auf und stellte sich neben den Ofen. »Ha- ben Sie Mangel an Kohlen?« fragte er ruhig. »Ja, ja«, sagte der Kaplan und wandte sich um, so daß sie sich ansehen konnten,
    »sie sind so teuer…«
    »Ich werde Ihnen welche bringen…«
    »Oh, Sie meinen…«
    »Sie brauchen mir nichts zu zahlen, mich kosten sie nichts…«
    »Sie kommen beruflich daran.« Hans lachte. Er lachte laut, es schien, als lache er zum ersten Male seit langer Zeit wirklich herzlich und frei, er lachte so heftig, daß er sich verschluckte und ihn ein heftiger Husten befiel. Aber sofort, als er dem tö- richten und lächelnden Blick des Kaplans wieder begegnete, befiel ihn neues Lachen…
    »Sie müssen mir verzeihen«, sagte er… »aber beruflich, beruf- lich ist gut.«
    »Wieso«, der Kaplan schien wirklich etwas gekränkt zu sein,
    »es wäre doch möglich.«
    »Eben«, sagte Hans, und er spürte, daß ihn eine Plötzliche Trauer befiel, er sehnte sich danach, bei Regina zu sein, neben ihr zu liegen und ihre Stimme zu hören. »Ja«, sagte er, »ich habe beruflich damit zu tun, ich klaue sie, ich lebe davon…«
    »Achso«, sagte der Kaplan und lachte kurz, »es ist wohl sehr anstrengend?«
    »Es ist halb so schlimm, ziemlich einfach. Man muß nur etwas Maß halten – wenn man dreißig Stück in der Tasche hat, tut einem keiner was, aber ich hole drei mal dreißig am Tage, es ist
    ein ganz pünktliches, regelmäßiges Leben, ich habe meine Aus-
    rüstung wie ein Eisenbahner, Tasche und Lampe – auch einen Fahrplan. Ich beziehe meinen Posten mit der Regelmäßigkeit eines Beamten. Meine Bescheidenheit flößt den Polizisten of- fenbar Respekt ein. Ich werde Ihnen Briketts bringen…«
    »Ich will sie gerne bezahlen…«
    »Nein, nein, Sie machen mir eine Freude, wenn Sie« – er stockte und blickte den Kaplan unruhig an. Zum ersten Male
    spürte er etwas wie Sympathie, die nicht diesem Menschen zu
    gelten schien. Sie blickten sich an, und Hans spürte, wie sein Gesicht zusammenfiel, die Müdigkeit fraß auch die letzten Reste von Spannung aus seiner Haut, und er hatte das Gefühl, mit einer schlaffen lederartigen Hülle umgeben zu sein, die ohne jede Beziehung zu ihm stand. Er sagte leise: »Ich möchte beich- ten…«
    Der Kaplan stand so plötzlich und heftig auf, daß Hans zu- sammenzuckte. »Schnell, schnell«, rief er, »setzen Sie sich hier- her.« Sein Gesicht drückte Freude und Angst aus, auch etwas wie Mißtrauen, und er bewegte sich mit einer Hast und einem Eifer, als müßte er zum Herd rennen und ein überkochendes Gefäß schnell retten.
    »Setzen Sie sich hier«, rief er. Er selbst riß seine Stola vom Nagel, schob die Kaffeetassen beiseite und stützte die Ellenbo- gen auf, und die Art, wie er sein Profil mit der aufgestützten Handfläche verdeckt hatte, etwas Gewerbsmäßiges, etwas zu- gleich Einstudiertes und Unbewußtes; er flüsterte: »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
    Hans wiederholte die Worte stockend und sagte: »Amen.«
    »Ich weiß nicht, wann ich zuletzt gebeichtet habe.«
    »Versuchen Sie, es herauszubekommen…«
    »Welches Jahr haben wir jetzt?«
    »1945«, sagte der Priester ohne Erstaunen…
    »Nun, ich weiß bestimmt, daß ich 43 gebeichtet habe, im Win- ter, vor einer Schlacht…«
    »Also 1 bis 2 Jahre.«
    »Ja«, er stockte. Immer wieder glitt sein Blick von der Hand des Priesters ab, die etwas angeschmutzt war von den Briketts, und seine Augen saugten sich fest an dem Brotteller, der hoff- nungslos blank war, den leeren Tassen mit dem schwarzen Satz und der grauen Tischdecke.
    »Ich habe«, sagte er leise, »mich meistens gelangweilt. Ich ha- be keine fremden Götter angebetet und meine Frau nicht betro- gen, solange sie lebte…«
    »Sie hatten eine Frau?«
    »Ja… gelangweilt«, sagte er, »unaussprechlich gelangweilt…
    keine Sakramente – keine Messe – die letzte Messe vor einem Jahr. Ja – vor einem Jahr – Ich habe gegen das sechste Gebot gesündigt, einige Male – ich habe gestohlen, oft gestohlen

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