Der Engel Schwieg.
Orden ihm sicher – und daß es Kleinigkeiten sind, die den Ruf vergrö- ßern. Haltung…
Obwohl er das, was festzustellen war, längst festgestellt hatte, blieb er noch einen Augenblick über ihr, erhob sich dann, indem er ruhig die Decke über sie warf, und winkte den Kollegen in eine Ecke…
»Haben Sie die Platte?«
»Ja, ist eben gebracht worden.« Er nahm die Platte aus dem Umschlag, winkte die Nonne mit dem Leuchter heran und sah, daß der Priester sich wieder dem Bett näherte. Die Kerzenflam- men gaben der trüben Hornplatte eine wilde rötliche Transpa- renz, erleuchteten einen seltsamen dunkelgrauen Kreis, in dem eine Reihe schwarzer harter Punkte sichtbar wurde…
»Unglaublich«, murmelte die Kapazität, »unglaublich, daß sie überhaupt noch lebt.«
»Hier ist die Aufnahme, die vor vier Wochen gemacht wur- de…«
Der Arzt gab der Nonne einen Wink, sich etwas zu bücken,
weil ihr Schatten in die zweite Platte fiel, und tupfte mit dem Zeigefinger dreimal in die rötlich graue verschwimmende Flä- che. »Eins zwei drei«, sagte er, »nicht mehr, ich habe die Auf- nahme selbst gemacht…«
»Auch die zweite…«
»Ja«, sagte er, »es muß sich ausgebreitet haben wie – wie Warzen, die plötzlich eine ganze Hand bedecken, die Geschwüre
müssen – meiner Meinung nach – eine Substanz enthalten, die,
wenn sie ausfließt, neue Geschwüre bildet – wie – wie Warzen – vielleicht nervöse Ursache?«
Die Kapazität schwieg. Sie nahm die zweite Platte dem Kolle- gen aus der Hand, hielt die beiden Aufnahmen nebeneinander
und murmelte: »Ich würde kaum glauben, daß die beiden Auf-
nahmen so kurz hintereinander gemacht worden sind, wenn nicht…«
»Ich garantiere dafür.«
»Gewiß. Übrigens kenne ich das Phänomen – es wird höchst selten beobachtet; die Zerstörung des Organs geht mit geometri- scher Geschwindigkeit vor sich; es müßte interessant sein« – er senkte seine Stimme – »eine Aufnahme des jetzigen Zustandes zu haben. Auf jeden Fall das eruptierte Blut analysieren« – er grinste leise – »eine große Probe davon trage ich ja auf meinem Kittel mit. Wir müssen mit dem Schwiegervater sprechen. Be- gleiten Sie mich bitte« – er senkte die Stimme noch tiefer –
»wenn wir eine Obduktion durchführen könnten! Kommen Sie…«
Sie sah den Priester sehr nah, hörte aber nichts mehr von ihm, nur sein Gesicht war deutlich: Erregung und Müdigkeit schienen gegeneinander zu zucken, seine Lippen bewegten sich heftig, aber sie verstand nichts, und dieses rasende stumme Stammeln erschien ihr wie das verzückte Flüstern eines Verliebten: in den großen schönen Augen des Kaplans stand Schrecken neben einer törichten Freude…
»Geld«, sagte sie, »viel Geld gehört mir. Es soll Ihnen gehören
hören Sie mich?«
Sie sah ihn nicken, und das stumme Flehen hörte auf. Seine Lippen zuckten nur noch leise…
»Es gehört Ihnen viel Geld… keinen Pfennig denen – alles für Sie – verschenken Sie es… mein ganzes Geld, hören Sie?«
Er nickte wieder…
Dann schien ihr, Willi stünde neben ihr, seine Feldwebelsterne leuchteten in der Dunkelheit, er kniete sich, und sie sah die silb-
rige Litze ganz nah vor sich, zwei hufeisenförmige blinkende
Streifen, in denen die Sterne auf grünem Tuch standen. Sein Gesicht war bleich und verfallen, so zersetzt von Müdigkeit, daß sie den Spott nicht mehr wiederfand.
Als er den Kopf senkte, sah sie die lichten Stellen am Hinter- schädel, den narbigen Nacken, und hörte ihn sagen: »Ich liebe dich, wie man ein Denkmal liebt – dich selbst nicht – nur Denkmal, weil ich dich selbst einmal liebte. Ich weiß es noch« – für einen Augenblick hob er den Kopf wieder, dann sah sie nur den Nacken – »es ist nur, daß ich dich nicht hasse, und das ist viel – ich hasse dich nicht und wollte dir Auf Wiedersehen sagen
dich noch einmal sehen – wiedersehen werden wir uns nicht.«
Sie wollte ihre Hände auf seinen Kopf legen, aber es gelang ihr nicht. Es war plötzlich das Gesicht des Priesters, eingerahmt von Feldwebelschulterstücken, und sie hörte eine andere Stimme sagen: »Denken Sie nicht an Geld in dieser Stunde, die Sie…«
»Doch«, flüsterte sie, »ich denke an Geld, ich will, daß Sie das Geld…«
Wieder stand Willis Kopf da, und die beiden Köpfe wechselten nun einander ab wie Bilder, die man flink austauscht, auch die
Stimmen wechselten, die eine duzte sie, und die andere sagte
Sie.
»Nur dem Alten keinen
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