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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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innerhalb eines winzigen Kreises tanzte. Die Nonne war in sich zusammengesunken, ein dunkles Denkmal aus vielen Stoffalten, in dem einzig die blasse und breite Hand lebendig erschien, die andächtig an die Brust klopfte, dreimal aus den Bauschen auftauchte und zum dritten Male endgültig ver- schwand. Der Priester ließ den Deckel aufknipsen wie eine Uhr: der Lichtflecken an der Wand erlosch, und die matte Hostie verursachte in den Augen der Sterbenden ein glückliches Auf- leuchten; sie versuchte, die Hände zu heben und an die Brust zu klopfen, aber der Schmerz lähmte sie; er krampfte ihren Leib zusammen, ihre Eingeweide schienen zu schrumpfen wie unter einer Faust, die sich haßvoll zusammenpreßte und nichts zu enthalten schien als Schmerz, wilden zerdrückten Schmerz, der plötzlich und vollkommen wieder verschwand, so schnell, daß sie erschrak und ein heftiger Schwindel sie erfaßte: in rasender Schnelligkeit stieg es hoch, spritzte über die Kante des Nachtti- sches, schwemmte heftig bis an den Ständer des Kruzifixes und befleckte die eine Kerze, aber der große Schwall klatschte über die Bettkante zu Boden, bildete eine große, sich schnell erbrei- ternde Pfütze, in der der blanke Nonnenschuh wie eine Insel stand; es war Blut, sehr schwarzes Blut…
    Die Nonne schrie auf, der Priester knipste die Kapsel wieder zu, und für einen Augenblick tanzte der Kringel wieder an der Wand in seiner winzigen Gefangenschaft, bis der Priester die Kapsel unter seinen Rock geschoben hatte…
    Die Kranke selbst hatte ihre Haltung kaum verändert, schien auch nicht beschmutzt zu sein, nur an ihrem Kinn lief ein Bluts- tropfen herunter, schwarz und zäh. Sie sah die Kapsel ver-
    schwinden und begriff, daß sie von dieser letzten Tröstung aus-
    geschlossen war. Sie fühlte sich schwach und schmerzlos, für einen Augenblick, der unendlich erschien, bis die unsichtbare Faust sich wieder zusammenkrampfte in ihrem Leib, diese Faust, die etwas umklammerte, das keine Substanz hatte: den Schmerz, dieses tödliche Nichts, das unter dem wilden Pressen dennoch platzen und wieder hochsteigen konnte: sehr schnell und schie- ßend: Blut, das diesmal klebrig und schwer über ihre Brust floß und vom Bettuch aufgesogen wurde wie Tinte: ein großer dunk- ler Kreis…
    Das Gesicht des Priesters schien allein zu stehen: sein dunkler Rock verschmolz mit der Dunkelheit, und in dieser Dunkelheit stand sein müdes und erschrockenes Gesicht, seine Hände waren steif und vorschriftsmäßig gefaltet dort, wo seine Brust sein mußte…
    »Segnen Sie mich noch einmal«, flüsterte sie…
    Er blickte zu Boden und sah die eifrigen Hände der Nonne, die den Putzlappen bewegten: von diesem grauen und nassen Wulst wurde das Blut nicht aufgesogen, es schien zäh wie Teig, schnell geronnen, und rollte sich wie eine seltsame Substanz zur Seite… Er trat näher, segnete sie und flüsterte ihr zu: »Fürchten Sie nichts, Sie haben das Sakrament der Buße empfangen und die letzte Ölung: Schenken Sie Ihren Schmerz unserem Herrn, der
    allen menschlichen Schmerz kennt…«
    »Ja, ja«, flüsterte sie, »rufen Sie den Arzt«, aber sie sah ihn schon eintreten; neben seiner breiten Gestalt kam eine andere, die den weißen Kittel im Gehen flüchtig zuknöpfte: an dem ernsten und zugleich müden Gesichtsausdruck, den leichten und fahrigen Handbewegungen erkannte sie sofort die Kapazität. Sie versuchte sich zu wehren, als er ihr das Hemd hochhob und ihren Bauch berührte; sein hoffnungsloses Gesicht war ganz nah vor ihr, lag fast auf ihrer Brust; dieses eingebildete Greisenge- sicht, das sich seinen Ritus von Größe einstudiert hatte, den es nun programmäßig ablaufen ließ: Skepsis – Hochziehen der Brauen – Nachdenklichkeit – Müdigkeit, während seine ge- spreizten Finger um ihren Nabel herumtasteten. Sie schrie, als er
    plötzlich heftig zudrückte, sie spürte seine fünf Finger wie fünf
    bohrende Eisen, sah, daß sich eine leichte Befriedigung auf sei- nem Gesicht zeigte, und flüsterte ihm zu: »Weg… weg, gehen Sie!«
    Aber er horchte nun ihr Herz ab, das Blut stürzte aus ihrem Mund über seinen Rücken, sich nicht mehr ausbreitend, ein fester Klumpen, der schon starr und schwarz geworden schien, als er ihren Mund verlassen hatte. Es störte ihn nicht: er blieb über sie gebeugt, wie ein General, der die Karte studiert, wäh- rend die Granaten schon in die Nähe seines Quartiers schlagen, wissend, daß sein Rückzug in jedem Falle gedeckt ist, die

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