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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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im Krieg – und jetzt die Briketts – und nun lebe ich mit Regina zusammen – aber sie ist meine Frau«, sagte er etwas fester.
    Er starrte jetzt durch die Finger, die er etwas gespreizt halte, weil sie müde wurden von der festen krampfhaften Schließung, und er sah, daß der Kaplan lächelte, ohne daß er wissen konnte, daß er ihm zusah.
    »Und die Gebete?« fragte der Priester.
    »Ich weiß nicht…«
    »Versuchen Sie, sich zu erinnern.«
    »Ich habe lange nicht gebetet… zuletzt im Lazarett, das muß vor zwei Jahren gewesen sein… und die Briketts…«
    »Hm«, machte der Priester, »wieviel holen Sie? Mehr als Sie brauchen?«
    »Ja, ich tausche sie gegen Brot und Zigaretten…«
    »Und verschenken welche?«
    »Ja.«
    »Schön… Sie dürfen sich nicht dran bereichern… leben muß man ja, Sie verstehen?«
    »Ja.« Er schwieg.
    »Ist das alles?« fragte der Kaplan leise.
    »Ja.«
    Der Priester räusperte sich. »Die Langeweile«, sagte er,
    »kommt nicht von Gott. Denken Sie immer daran. Sie kann wohl zu etwas gut sein, wie das Böse ja auf eine geheimnisvolle Wei- se dem Guten dienen kann, dienen muß, verstehen Sie. Aber die Langeweile ist keinesfalls etwas, was unmittelbar von Gott kommt. Bedenken Sie das. Beten Sie, wenn Ihnen langweilig wird, und wenn es Ihnen zunächst noch langweiliger erscheint, beten Sie, beten Sie. Hören Sie? Einmal schlägt es durch. Immer weiter beten – und lassen Sie sich trauen. Nehmen Sie die Sa- kramente, sie sind unsere Speise hier. Und bedenken Sie, daß Sie nicht ohne Verdienste sind. Auch das ist Hochmut, sich für
    solch einen Sünder zu halten, daß einen die Barmherzigkeit nicht
    mehr erreichen konnte. Eine ganz besondere Art von Hochmut, die leicht mit Demut verwechselt wird – wollen Sie sich nicht trauen lassen… ihre Frau leidet unter diesem Zustand, glauben Sie es mir.«
    »Trauen Sie uns.«
    Der Kaplan schwieg. »Ich bin durch die Gesetze gebunden. Wir dürfen keine Ehe schließen, die nicht amtlich geschlossen ist. Warum lassen Sie sich nicht amtlich trauen…«
    »Meine Papiere sind nicht echt… Dokumente könnten verlangt werden… Trauen Sie uns so…«
    Der Priester seufzte, er schwieg lange. »Ich werde es tun«, sag- te er, »gegen alle Gesetze werde ich es tun – ich kann Sie bedin- gungsweise trauen, wenn Sie mir versprechen, sich später amt-
    lich trauen zu lassen und auch die kirchliche Trauung noch ein-
    mal nachzuholen…«
    »Ich verspreche es.«
    »Schön«, sagte er, »kommen Sie mit Ihrer Frau zu mir – nach der Messe – in die Sakristei – bringen Sie irgendwelche Zeugen mit. Erwecken Sie Reue…«
    Während der Kaplan die aufgestützte Hand vom Tisch nahm,
    die Hände faltete und sehr kurz und innig, fast nur einen Augen- blick, betete, versuchte Hans, Reuegebete zu erwecken, die er irgendeinmal gelernt hatte, aber ohne es zu wissen, murmelte er in sich hinein: »Ich bin müde, ich bin müde, ich bin hungrig, mir ist schlecht – Erbarmen« – aber schon war er losgesprochen, ehe er es gemerkt hatte, er mußte wieder einen dieser kurzen Anfälle schwindelhafter Müdigkeit gehabt haben, denn er sah schon über sich das blasse Gesicht des Kaplans, der aufgestanden war und leise murmelte: »Gelobt sei Jesus Christus…«
    Er stand sofort auf und stellte sich mit dem Gesicht zum Ofen und plötzlich fiel ihm ein, daß er keine Buße aufbekommen hatte.
    »Sie haben mir keine Buße auferlegt«, sagte er, ohne sich um- zuwenden.
    »Beten Sie mit Ihrer Frau zusammen jeden Tag ein Vaterunser
    und ein Ave Maria.« Die Stimme klang unpersönlich, etwas
    gereizt und gelangweilt, und Hans empfand das als wohltuend. Er griff unter das Bett, warf noch zwei Briketts auf den Ofen und sagte: »Ich bringe Ihnen welche – morgen früh, Sie müssen das von mir annehmen…«
    Als er sich umwandte, sah er, daß der Kaplan seine Tabakdose genommen und sie vollgestopft hatte. Er drückte die großen plattenartigen Tabakstücke hinein, klemmte den Deckel zu:
    »Dann müssen Sie von mir das hier nehmen – ich bekomme ihn
    geschickt von meinem Bruder; er pflanzt ihn selbst.«
    »Danke«, sagte Hans. Als er sich verabschiedete, vermied er es, dem Kaplan ins Gesicht zu sehen.

XVII
–––––––––

    Die Kerzenflamme spiegelte sich im Deckel der kleinen gol- denen Kapsel, ein mattes und warmes Licht, das an die Wand reflektiert wurde und dort ein tanzendes Muster bildete, einen zitternden Kringel, der ausbrechen wollte, aber gefangen war und wie irr

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