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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Pfennig, versprich es mir.«
    »Wenn Sie vor den Richterstuhl Gottes treten, dürfen Sie nicht…«
    »Ich hasse ihn – du mußt versprechen…«
    Mit Willis Stimme zusammen hörte sie das Artilleriefeuer, das irgendwo in die Stadt schlug, ein sehr knallendes Krachen, das sich von Bombeneinschlägen unterschied…
    »So bete ich nun das apostolische…«
    Im gleichen Augenblick, wo diese Stimme wieder da war, war auch das Artilleriefeuer verschwunden…
    »Ich muß gehen – also…«
    »… empfangen ist vom Heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau…«
    Sie sah die graue Gestalt zur Tür gehen, sie öffnen und schlie-
    ßen, und als die Tür zufiel, erlosch auch draußen das dumpfe
    Orgeln der Geschütze…
    »Abgestiegen zu der Hölle…«
    Der Schmerz war wie ein sehr leises Bohren, das anschwoll wie das Heulen einer Sirene, ihre Eingeweide durcheinanderzu- rühren und zusammenzufassen schien, um sie nach oben zu drücken… sie spürte es wie Klumpen im Halse – wußte nicht, daß sie schrie, hörte nicht mehr die Stimme, und das Letzte, was sie sah, waren diese stumm sich bewegenden Lippen…
    Der heiße und dunkle Strahl berührte in seiner oberen Kurve das Kinn des Priesters – der ekelhafte und fette Geruch von Blut erreichte seine Nase, verursachte Schwindel, und er erhob sich rasch, aber es war zu spät: die Knöpfe seiner Soutane waren noch nicht geschlossen, die Welle spülte ihm gegen den Hem- denlatz, floß träge herunter, er spürte es schwer und naß; er stand auf, zog die goldne Kapsel heraus und betrachtete sie ängstlich: sie war befleckt; er umschloß sie vorsichtig mit der Hand, damit sie ihm nicht entfallen konnte, und rieb die beschmutzte Seite an seinem Ärmel, ängstlich und hastig, während er zusah, wie die Nonne sich übers Bett beugte, so heftig, daß die Kerzen flacker- ten und die kleine Silhouette des Stehkreuzes vergrößerten. Der Schatten des winzigen Querbalkens schaukelte sehr hoch, breit und dunkel an der Decke für einen Augenblick nur, dann ver- kleinerte sich die Flamme wieder, der große Schatten des Kreu- zes sank mit ihr zusammen, verkleinerte sich, und er sah ein anderes Schattenbild: das Löschhorn. Es erschien wie eine große Kapuze, sank langsam nach unten, senkte sich über die eine Kerze, und es blieb dunkel in der Ecke, und der Schatten des Kruzifixes sprang etwas nach links zum Bett hin, wo nur eine Kerze noch brannte –
    »Ist sie tot?« fragte er leise… Die Schwester nickte…
    »Gott sei ihrer armen Seele gnädig…«
    Er wandte sich um: der Mann, den er flüchtig im Flur gesehen hatte, eine magere schwarze Gestalt mit herrischem Gesicht, kam langsam näher, und er erschrak, als er Tränen auf diesem
    steinernen alten Gesicht sah.
    Vielleicht der Vater, dachte er, und er trat beiseite und ließ die Gestalt durch, und auch die Nonne machte Platz. Er konnte zum ersten Mal die Tote sehen: das kleine Gesicht war gelb, der Mund noch geöffnet, als müßte er neue Blutstöße von sich ge- ben, und dieser offene Mund, schmerzlich verbogen, gab dem Gesicht den Ausdruck von unendlicher Müdigkeit und von Ekel. Die Nonne machte ihm Zeichen, wegzugehen, und er steckte die goldene Kapsel wieder an seine Brust und knöpfte im Hi-
    nausgehen die Soutane sorgfältig zu…

XVIII
–––––––––

    Fischer blickte zur Tür hin, und als er sah, daß sie verschlossen war, bückte er sich und öffnete den Verschluß des Nachttisches; er zog die Pantoffeln heraus, ein Paar schmutziger Strümpfe, die zusammengeknüllt waren, und nun, mit dem Gesicht nahe an der Erde, sah er, daß die Blutspuren noch nicht ganz weggewischt waren; eine dünne dunkle Kruste klebte noch am Boden. Er seufzte, blickte zu den Kerzen auf und fühlte etwas wie Scham, als er nun das Nachtgeschirr beiseite schob, während er sich mühsam keuchend auf die Bettkante stützte. Alles, was er je über Erbschaftsprozesse gehört hatte, fiel ihm ein – der Schweiß brach ihm aus: auch in der Nachtkommode war der Zettel nicht. Er zuckte zusammen, als der Verschluß knackte, und während er sich auf den Boden stützte, entdeckte er unter dem Bett im Halbdunkel einen Koffer – er legte sich flach auf den Boden, versuchte den Griff zu erreichen, aber der Koffer war weit nach hinten geschoben, es nützte nichts, er mußte, er mußte seinen Kopf beugen, ihn unters Bett schieben und sich mit den Händen vortasten; Ekel packte ihn, und nun lag er auf dem Bauch im Dreck, in dieser widerwärtigen

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