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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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dicken Staubschicht, und als er sich duckte, um noch ein Stück voranzukriechen, berührte seine Nase den Staub, Flusen drangen ihm in den Mund, und ein hef- tiger Husten hinderte ihn, nun endlich den Griff des Koffers zu packen. Er hielt den Atem an, unterdrückte den Husten, schnappte den ledernen Griff; einen Augenblick war es still, und in dieser Stille hörte er, daß die Tür geöffnet und wieder ge- schlossen wurde; er blieb liegen, hörte einen einzigen Schritt, dann war wieder Stille, und er dachte daran, daß nun irgend jemand dort stand, der seine Beine betrachtete, seine Schuhe, die lächerliche untere Hälfte eines männlichen, unter dem Bett lie- genden Körpers. Er fluchte stumm in sich hinein, und dieses heftige und häßliche innere Stammeln brachte ihm Erleichte-
    rung. Er dachte Worte, die er noch nie ausgesprochen hatte,
    deren Existenz er fast nur geahnt hatte – »Scheiße – Huren-
    dreck…« es war wie eine Befreiung; er beschloß, herauszukrie- chen. Er schob sich langsam mit einer Hand rückwärts, hielt mit der anderen den Koffergriff und pustete heftig den gestauten Atem heraus – eine Staubwolke umwirbelte ihn, Dreck drang in Nase und Mund, er mußte niesen; sein Kragen verhakte sich an einem Drahtstück der Matratze, und er hielt wieder inne, stam- melte unsinnige widerwärtige Flüche in sich hinein und spürte in einer Mischung von Ekel und Lust, daß Schweiß und Schmutz sich vermengten; er ruckte heftig, spürte, wie der Kragen riß, und wand sich langsam so heraus, daß er der Gestalt den Rücken wandte. Er warf den Koffer aufs Bett…
    »Was wollen Sie«, murmelte er nach rückwärts, während er sich das Gesicht abtupfte und den Staub von seinen Kleidern schlug.
    Er konnte fast nichts sehen, sein Herz schlug heftig, und nur langsam beruhigte sich die erregte rotierende Bildfläche vor seinen Augen: das Kruzifix auf dem Nachttisch, die rötliche Wand…
    Er fluchte innerlich weiter, ohne es zu wissen und ohne zu wissen worauf: ein plötzlicher, heftiger Drang, dem nach- zugeben ihm Erleichterung verschaffte und ihn mit einer seltsam scharfen, fast tödlichen Heiterkeit erfüllte, diese Lust, widerliche Wörter zu bilden, abscheuliche Vokabeln einer unbekannten Welt, die sich ihm mühelos erschloß, herunterzuleiern – sie in sich hineinzudenken; es schien, als bezahle er damit seinen Los- kauf von der Scham: alles war ihm gleichgültig – – nur dieser Fetzen…
    Er setzte sich kaltblütig aufs Bett, wischte sein Gesicht sauber, während der erregte Sektor vor seinen Augen ganz ruhig wurde und sich allmählich das unbewegte Bild eines blassen jungen
    Mannes abzeichnete, der eine Soldatenkappe in der Hand hielt
    und ihn feindselig musterte…
    »Nun, was wollen Sie«, rief er… »suchen Sie jemand?«
    Er ließ gleichzeitig die Schlösser aufschnappen, griff in die Taschen im Kofferdeckel und sah den jungen Mann neugierig
    an…
    »Frau Gompertz… ich will zu Frau Gompertz, Zimmer 16 – man sagte mir…«
    Fischers Neugierde war erwacht, als er zwischen Damenwä- sche einige Bücher entdeckte.
    »Frau Gompertz ist tot…«, warf er ruhig hin. Plötzlich fiel ihm
    wieder ein, wie wertvoll dieser Fetzen Papier für ihren Vater und ihre Geschwister sein konnte, unabsehbar – sein Herz schlug heftiger, heiß und erstickend war die Erregung in seinem Hals; es schien ihm, als werde er in diesem Koffer nichts finden, und er wühlte verzweifelt zwischen Wäschestücken herum, angelte ein Gebetbuch heraus, dessen Seiten er hastig durch die Finger gleiten ließ. Er blickte erst auf, als der Schatten des jungen Mannes über ihn fiel – er hielt inne und blickte das blasse Ge- sicht prüfend an.
    »Frau Gompertz ist tot, was wollen Sie?« rief er, als der junge Mann näher trat.
    »Sie suchen an der falschen Stelle«, sagte Hans. Er ging lang- sam zum Nachttisch, hob das Kruzifix auf und langte unter dem Sockel den schmalen weißen Zettel heraus. »Zu Hause hatte sie
    es an der gleichen Stelle«, sagte er.
    Fischer fühlte, daß er die Nerven verlor; er mußte die Lippen aufeinander pressen, um das Knirschen seiner Zähne zu unter- binden, aber hinter den geschlossenen Lippen spürte er dieses wilde Knacken seines Gebisses. Er sah, daß der Fremde den Zettel in die Tasche steckte, und öffnete mühsam den Mund:
    »Sie wissen…«, stammelte er… »Sie wollen… Sie kennen das Dokument.«
    »Ich kenne es, Herr Doktor, ich habe es ihr selbst gebracht…«
    »Sie? Sagen Sie, Sie…

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