Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
Vom Netzwerk:
spotteten sein, samt den Schriftgelehrten und Ältesten.
    Eine Perlenkette aus Wörtern entrollte sich.
    Andern hat er geholfen, und kann ihm selber nicht helfen. Ist er der König Israels, so steige er nun vom Kreuz, so wollen wir ihm glauben.
    Victor löste sich aus der Gruppe, ohne dass Bruder Rombout und Pater Norbert es bemerkten, denn sie hatten die Augen geschlossen, während sie das Vaterunser beteten. Lediglich einige seiner Mitschüler, die die Augen nur halb geschlossen hielten, sahen ihn.
    Er hat Gott vertrauet, der erlöse ihn nun, hat er Lust zu ihm; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.
    Er verschwand hinter den Tannen, die zu beiden Seiten der Grotte wuchsen. Die Schüler stießen einander an und deuteten auf ihn, während sie weiter das Vaterunser vor sich hin sprachen.
    Desgleichen schmäheten ihn auch die Mörder, die mit ihm gekreuziget waren.
    Er kam von rechts, wie jemand, der eine Bühne betritt. Er ging straffen Schritts unter dem Kreuz des Mörders hindurch, kam an Maria Magdalena und den römischen Soldaten vorbei und blieb vor dem Kreuz von Jesus stehen. Er drehte sich mit dem Rücken dazu und presste den Körper an das Holz. Sein Kopf reichte bis knapp unter Jesus’ Nabel.
    Und von der sechsten Stunde an ward eine Finsternis über das ganze Land bis zu der neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach …
    Da streckte Victor seine Arme aus, wie Jesus über ihm es auch tat, und rief: » Eli, Eli, lamasabthani! «
    Seine schrille Stimme erhob sich hoch in die Luft, und alle blickten auf und sahen, wie Victor träge den Kopf senkte.
     
    ***
     
    Einige Wochen, nachdem der Artikel von Victor Hoppe in Cell erschienen war, erhob sich im Westen, auf der anderen Seite des Ozeans, ein verräterischer Wind. Am Wistar Institute for Anatomy and Biology hatten David Solar und James Grath sich über den Artikel gebeugt und den Kopf geschüttelt. Die zwei Wissenschaftler hatten sich bereits viele Jahre lang mit Zellkerntransplantation beschäftigt und sich auf dem Gebiet einen eindrucksvollen und unantastbaren Ruf erworben. Der Bericht von Victor Hoppe hatte bei ihnen schon von Anfang an einige Fragen aufgeworfen. Vielleicht war deren ursprünglicher Antrieb Eifersucht gewesen, aber darüber wurde nie gesprochen. Ihr Interesse war inhaltlicher Art. Und darum beschlossen sie, das zu tun, was Victor immer verweigert hatte: den Versuch zu wiederholen.
    Sie ließen sich dabei nicht lumpen und gaben sich drei Jahre Zeit. Drei Jahre, in denen sie wie die Geier immer um dieselbe Stelle kreisten und sich auf breiten Flügeln von einem Wind tragen ließen, der immer stärker wurde.
    Wer indes hätte spüren müssen, wie dieser Wind aufkam, war Rex Cremer. Auch er hatte in diesen drei Jahren Victor Hoppes Versuch mehrmals wiederholt, und kein einziges Mal war es ihm gelungen, einen Mäuseembryo zu klonen. Immer war irgendetwas schiefgegangen. Einmal waren die Embryos schon in der Nährlösung gestorben, dann hatten sie sich nicht in der Gebärmutter eingenistet, und die paar Male, die es zu einer Geburt gekommen war, waren lediglich missgebildete oder tote Mäuse dabei herausgekommen. Du musst es weiter probieren, hatte Victor stets gesagt, aber er hatte niemals irgendeine Hilfestellung geleistet und auf Fragen immer nur lapidar geantwortet, alles sei so vor sich gegangen, wie er es beschrieben habe, also habe er dem nichts hinzuzufügen.
    Den eigenen optimistischen Prophezeiungen zum Trotz war es Victor seinerseits in diesen drei Jahren auch nicht gelungen, erwachsene Mäuse zu klonen, weshalb Cremer mit der Zeit immer skeptischer gegenüber der angewandten Methode geworden war. Victor behauptete allerdings, es liege nicht an der Methode, sondern daran, dass er die Zellen nicht deprogrammiert bekam. Zum ersten Mal gab er damit zu, dass es schwieriger war, als er erwartet hatte, und als er eines Tages doch einen Durchbruch erzielt hatte, gab er freimütig zu, dass der Zufall ihm zu Hilfe gekommen sei. Er erzählte, er habe einen Versuch abgebrochen und die entsprechenden Körperzellen in der Petrischale stehen lassen, ohne sich weiter darum zu kümmern. Um die Zellen am Leben zu erhalten, hätte er normalerweise jeden Tag etwas Nährlösung hinzugeben müssen, aber das hatte er diesmal nicht getan, sodass die Körperzellen buchstäblich verhungert waren. Als sein Blick nach einigen Tagen zufällig wieder auf das Schälchen gefallen war, hatte er aus Neugier die Zellen noch einmal

Weitere Kostenlose Bücher