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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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ungewaschener Wäsche und den Stapeln, die noch gebügelt werden mussten, an den Schuhen, die nicht mehr geputzt wurden, und an ihrer großen Schweigsamkeit.
    Lothar selbst litt auch, mehr als je zuvor, aber er kam bei seiner Arbeit in der Metallfabrik zumindest auf andere Gedanken. Vera saß den ganzen Tag über allein zu Hause.
    Er hatte gehofft, dass der Schmerz sich auf einem bestimmten Niveau einpendeln würde, aber mittlerweile kam es ihm so vor, als würde er Woche für Woche nur größer. Als sie eines Vormittags einfach im Bett geblieben war, hatte er den Doktor angerufen. Die Weihnachtstage standen vor der Tür, und er vermutete, dass das ihre Trübsinnigkeit noch verstärken würde. Auf der Arbeit hatte ihm jemand von irgendwelchen Pillen erzählt, die das Leben leichter machten, und er wollte den Doktor fragen, ob er seiner Frau nicht solche Pillen verschreiben konnte. Am Telefon hatte er das jedoch nicht erwähnt, denn es war ihm unpassend erschienen. Er hatte lediglich gefragt, ob der Doktor einmal vorbeikommen könne.
    »Es geht um Vera«, hatte er gesagt, »sie ist krank.«
    Der Doktor hatte versprochen, noch am selben Tag vorbeizuschauen. Das hatte Lothar Mut gemacht, denn Doktor Hoppe machte nur noch selten Hausbesuche.
    Wenn ich Ihnen in Zukunft mit irgendetwas helfen kann, nehmen Sie ruhig Kontakt mit mir auf.
    Das hatte er sich seinerzeit eingeprägt. Der Doktor hielt also Wort.
    Um halb vier war er da. Vera lag noch im Bett. Sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen und auch kaum etwas gesagt. Als Doktor Hoppe an ihr Bett trat, richtete sie sich erschrocken auf, rückte ihr Nachthemd zurecht und strafte ihren Mann mit einem wütenden Blick. Der machte eine hilflose Geste, aber zugleich war er erleichtert. Die Resignation hatte also doch noch nicht ganz über ihren Lebenswillen gesiegt.
    »Haben Sie irgendwelche Schmerzen?«, fragte der Doktor.
    Vera schüttelte den Kopf. Lothar sah, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Auch er hatte einen Kloß im Hals.
    »Haben Sie vielleicht Kummer?«, fragte der Doktor nun.
    Sofort fing Vera so heftig an zu schluchzen, dass ihre Schultern dabei auf und ab zuckten.
    »Er fehlt mir so!«, rief sie aus. »Und es hört nicht auf! Es hört einfach nicht auf! Gunther, mein armer, armer Gunther!«
    Sie ließ den Kopf hängen und barg das Gesicht in den Händen.
    Lothar trat leise näher. Er sah Doktor Hoppe an, dem keinerlei Gefühlsregung anzumerken war. Lothar störte das nicht. Genau deshalb hatte er den Doktor geholt: weil der die Dinge nüchtern und aus einem gewissen Abstand heraus beurteilen konnte.
    »Sie haben ihn sehr geliebt«, sagte Doktor Hoppe, und aus dem Ton seiner Stimme ging nicht hervor, ob es eine Frage oder eine Feststellung war.
    »Er war mein einziges Kind, Herr Doktor«, schluchzte sie. »Er war alles, was ich hatte. Und jetzt habe ich ihn für immer verloren.«
    Lothar sah seine Frau an, die die Hände wieder vors Gesicht geschlagen hatte. Er setzte sich auf den Rand des Bettes und strich sich verlegen über die Oberschenkel. Manchmal hatte er Schuldgefühle, weil seine Frau offenbar mehr litt als er. Sie hatte Gunther stets viel näher gestanden als er, und mit seiner angeborenen Taubheit hatte sie auch besser umgehen können. Mit Engelsgeduld hatte sie ihm das Sprechen beigebracht. Sie hatte sogar Unterricht in Gebärdensprache genommen. Er selbst hatte Gunthers Behinderung immer eher als zusätzliche Belastung betrachtet. Dadurch war der Kontakt zu seinem Sohn stets eher kurz und sachlich geblieben. Im Nachhinein tat ihm das Leid.
    »Warum bekommen Sie nicht noch mal ein Kind?«, fragte nun Doktor Hoppe.
    Lothar schluckte. Er sah, wie seine Frau die Hände wieder sinken ließ. Sie verzog kurz den Mund.
    »Ich werde nächsten Monat vierzig, Herr Doktor.«
    Das schien auch ihrem Mann bedenkenswert. Außerdem verweigerte sie sich ihm schon Jahre lang. Eigentlich schon seit sie dahintergekommen waren, dass Gunther hörbehindert war, auch wenn ein Spezialist ihnen ausdrücklich versichert hatte, dass ein zweites Kind nicht automatisch ebenfalls taub zur Welt kommen müsse. Inzwischen war sie zu alt, um noch Kinder zu bekommen. Doktor Hoppe hatte sie wahrscheinlich jünger geschätzt.
    »Ihr Alter ist kein Problem«, sagte der Doktor mit einem Kopfschütteln, »heutzutage ist das kein Problem mehr. Es ist lediglich eine Frage der Technik.«
    Er sagte es mit großer Bestimmtheit, als gäbe es daran nichts zu rütteln.
    Vera

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