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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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der Doktor die Dinge nicht auf sich beruhen lassen, sondern ein Heilmittel gefunden, und nun polterten seine Kinder wieder durchs Haus.
    »Sieben Eizellen, Frau Weber«, hörte er den Doktor sagen, »ich habe sieben reife Eizellen ernten können. Das ist ein gutes Ergebnis.«
    Lothar hörte seine Frau aufseufzen. Sie wandte ihm den Kopf zu. Ihre Augen waren feucht, aber auf ihren Lippen lag ein Lächeln. Wie die Sonne, die nach einem Regenschauer wieder durchbricht.
    »Sie können sich wieder ankleiden«, sagte der Doktor, der anfing, den grünen Schirm abzubauen. »Das war’s schon.«
    Es schien Lothar Weber ein passender Augenblick, um nach den Kindern des Doktors zu fragen. Alle Spannung war gewichen. Beide waren sie erleichtert. Und vielleicht würde der Doktor auch von selbst von der Frau anfangen, die gestern plötzlich bei ihm vor der Tür gestanden hatte. Lothar räusperte sich kurz. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie seine Frau sich aufrichtete. Der Doktor zog seine Handschuhe aus.
    »Wie geht es denn den Jungs, Herr Doktor? Gabriel und …«
    Er musste kurz nach den anderen Namen suchen, aber der Doktor antwortete, noch bevor sie ihm eingefallen waren: »Ihr Schicksal liegt in Gottes Händen. Gott entscheidet nun darüber. Gott allein.«
    Lothar Weber war wie vom Blitz getroffen.
    »Das … wusste ich nicht … Das muss …« Hilflos sah er zu seiner Frau hinüber. Sie war blass geworden. In ihren Augen standen Tränen.
    Lothar wandte den Blick ab. Der Doktor stand mit dem Rücken zu ihm. Er wollte natürlich in ihrer beider Gegenwart seine Gefühle nicht zeigen. Lothar fragte sich, ob er jetzt sagen sollte, wie Leid ihm das alles tat, aber er ahnte, dass er dann auch selbst in Tränen ausbrechen würde. Es saß ihm ein Kloß im Hals, und so sehr er auch schluckte, er wollte sich nicht lösen.
    »Freitag oder Samstag rufe ich Sie an«, sagte der Doktor, »sobald die Embryos soweit sind, dass wir sie einpflanzen können.« Er hatte sich zu ihnen umgedreht, sah aber weder Vera noch Lothar an.
    Lothar nickte.
    »Wir werden beim Telefon warten, Herr Doktor.«
     
    Gott hatte noch etwas in petto. Selbst mit einem Blitzschlag hätte er Victor nicht härter treffen können. Sieben reife Eizellen hatte er geerntet, und nicht eine einzige davon hatte den Eingriff überlebt. Das entdeckte er an jenem Abend. Er musste sich setzen, so schwindlig wurde ihm. Die Eizellen waren weit genug herangereift, als er sie den Eierstöcken entnommen hatte. Da war er sicher. Das hatte er auf dem Ultraschall sehen können. Aber einmal aus dem Körper befreit, waren sie innerhalb kürzester Zeit in der Petrischale gestorben. Er hatte hilflos dabei zusehen müssen. Von irgendeiner Form menschlichen Lebens konnte zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein, und doch war es ihm vorgekommen, als würden vor seinen eigenen Augen sieben Leben hinweggenommen. Eines nach dem anderen. Mit derselben Leichtigkeit, mit der eine Nadel einen Luftballon platzen ließ.
    Er wusste es, während er es geschehen sah: Dies war die Hand Gottes. Das Böse leistete ihm erneut Widerstand. Gott wollte ihn nicht seinen Weg gehen lassen und verfolgte jeden seiner Schritte mit Argwohn. Sein allsehendes Auge war einzig noch auf ihn, Victor Hoppe, gerichtet. Gott duldete keine Konkurrenz.
    Aber er würde sich nicht geschlagen geben. Da kannte Gott ihn schlecht.
    Gleich am nächsten Morgen klemmte er sich deswegen hinters Telefon. Er rief bei Universitäten und Krankenhäusern an. Er sprach in einem Tonfall, als wollte er Brot bestellen.
    »Eizellen. Reife Eizellen, ganz genau.«
    Fast überall legte man gleich wieder auf. Gelegentlich wurde er gebeten, später zurückzurufen. Manchmal hieß es auch, man habe keine verlässlichen Daten über ihn vorliegen.
    Keine verlässlichen Daten!
    Es war ein Komplott. Davon war er plötzlich überzeugt. Gott hatte all seine Kräfte und all seine Macht eingesetzt. Er hatte ein Komplott geschmiedet! Er war ein Bündnis eingegangen! Und das alles, um ihn, Victor Hoppe, unterzukriegen!
    Dann hatte die Frau vor ihm gestanden. Er hatte den Telefonhörer noch in der Hand gehabt. Am anderen Ende hatten sie wieder nicht begriffen, weshalb er anrief. Nicht begreifen wollen.
    »Reife Eizellen. Dringend«, hatte er gesagt.
    Die Frau hatte geschrien und getobt: »Haben Sie immer noch nicht genug? Immer noch nicht? Haben Sie nicht genug Leiden verursacht? Was muss jetzt noch kommen? Was muss in Gottes Namen noch passieren, bis Sie endlich

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