Der Engelmacher
gesehen?«
Freddy erzählte, ihm sei vor allem ihre blasse Haut aufgefallen. Die nackten Arme und Beine – sie trugen alle drei T-Shirts und Kniebundhosen – seien weiß wie Talkumpuder gewesen. Als hätte Frau Maenhout sie vorher in dem Puder hin- und hergewälzt.
»Aber sie waren wohlauf?«, fragte der Wirt. »Sie saßen nicht im Rollstuhl oder so?«
»Keine Ahnung«, schloss Freddy seinen Bericht ab. »Mehr konnte ich nicht sehen, weil Max plötzlich anfing zu bellen.«
»Klar, der wusste natürlich auch nicht, wie ihm geschah. Aber ich weiß schon mal, was ich morgen vorhabe. Morgen soll das Wetter nämlich auch wieder schön werden, und wahrscheinlich sitzen sie dann ja wieder draußen. Los, trinken wir ein Glas auf die Gesundheit der Doktorkinder. Ich geb einen aus.«
In den folgenden Wochen verleitete die Zeugenaussage von Freddy Machon verschiedene Dorfbewohner zu Spaziergängen, die am Haus Napoleonstraße 1 immer besonders langsam vorbeiführten. Und viele hatten Erfolg, denn bei schönem Wetter konnte man Frau Maenhout und die Kinder regelmäßig im Garten antreffen. Einmal spielten die drei wieder Karten, ein anderes Mal hörten sie Frau Maenhout zu, die ihnen aus einem Buch vorlas, und mehrere Tage nacheinander waren sie offenbar mit einem Puzzle beschäftigt, das laut Maria Moresnet für ihr Alter viel zu viele Stücke hatte.
Auch drinnen erhaschte man nun gelegentlich einen Blick auf die Söhne des Doktors. Verschiedene Dorfbewohner hatten sie hinter einer Tür hervorlugen sehen, wobei sie immer kichernd weggerannt waren, wenn man versucht hatte, sich ihnen zu nähern. Rosette Bayer hatte sie eines Abends auf der Treppe gesehen. Stufe für Stufe waren sie Frau Maenhout nach unten gefolgt. Frau Maenhout hatte ihr nur kurz zugenickt, und die Kinder hatten verlegen weggeschaut, als sie an ihr vorbei in die Küche gelaufen waren, aber zumindest die kahlen Schädel hatte sie deutlich gesehen. Außerdem war ihr aufgefallen, dass sie bläuliche Ringe unter den Augen hatten. Kurz darauf hatte sie sich beiläufig beim Doktor nach ihrem Zustand erkundigt.
»Sie haben nun schon mehrere Nächte in Folge schlecht geschlafen, Frau Bayer. Ich glaube, die Mücken machen ihnen zu schaffen«, hatte er geantwortet und war weiter nicht darauf eingegangen.
»Er wagt der Wahrheit nicht ins Auge zu sehen«, erklärte Rosette später Irma Nussbaum. »Erst wird ihm die Frau genommen, und dann stellt sich heraus, dass seine Kinder an einer sonderbaren Krankheit leiden. Männer können mit Kummer nicht gut umgehen.«
Auch Julius Rosenboom hatte die Jungen im Haus gesehen, sie hatten sogar ein paar Worte gewechselt.
»Ich habe mit ihnen gesprochen! Ich habe mit ihnen gesprochen!«, rief er am nächsten Morgen schon von weitem seinen Freunden zu. Sie standen auf dem Dorfplatz und warteten auf den Bus, mit dem sie nach Hergenrath zur Schule fuhren.
»Mit wem?«, fragte der lange Meekers, während er Robert Chevalier einen Stoß versetzte, der gerade Greet Prick aus der Fünften hinterherschielte.
»Mit den Kindern vom Doktor natürlich!«
»Was?«, fragte Seppe von der Bäckerei, der auch gerade angekommen war.
»Ich hab mit den Hoppe-Brüdern gesprochen! Gestern Abend!«
»Echt?«, staunte Seppe von der Bäckerei. »Erzähl!«
»Ich war allein im Wartezimmer, und plötzlich ging die Tür auf«, fing Julius an, nachdem er kurz zum Doktorhaus hinübergeschaut hatte. »Ich dachte, es wär die blöde Nussbaum, und darum hab ich weiter in mein Buch geguckt. Erst hab ich nichts gehört, aber dann war da plötzlich so ein Flüstern. Und ich guck so hoch, und dann stehen die da, alle drei, direkt vor mir! Und voll krass ey, die kahlen Schädel, richtig groß, wie Fußbälle. Und alle hatten sie diese Narbe im Gesicht, so hier …«, mit dem Zeigefinger drückte er seinen einen Mundwinkel an die Nase hoch.
»Und wie groß waren sie?«, fragte der lange Meekers.
»Bestimmt noch zwei Köpfe kleiner als die beiden da.« Er zeigte auf Michel und Marcel Moresnet, die ein paar Jahre jünger waren und in einiger Entfernung an der Hand ihrer Mutter warteten. Flüsternd fügte er hinzu: »Aber lange nicht so dick. Im Gegenteil, total dünn.«
»Und dann? Was dann?«, fragte Seppe von der Bäckerei.
»Einer von den dreien hat gefragt, wie ich heiße.«
»Das hast du aber nicht gesagt, oder?«
»Doch, klar, ich war total überrumpelt. Wärst du ja wohl auch gewesen, oder?«
»Haben sie Deutsch geredet?«, fragte Robert
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