Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
Zahnspange, Pickeln und wirklich schrecklicher Frisur zeigte.
Es war ein Foto, auf das sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit aufmerksam machten: „Und das ist unsere einzige Schwester, Mary Catherine. Sie ist noch ledig, falls Sie interessiert sind.“
Zum Brüllen komisch.
Sie stieg aus ihrem Geländewagen. „Hallo, Jungs.“
„Yo, M.C.“, rief Neil ihr zu. „Siehst ja verrucht aus.“
„Danke“, gab sie zurück und warf die Wagentür zu. „Vielleicht gelingt’s mir ja, Mama zu erschrecken.“
Die Chancen standen gut, immerhin war sie komplett in Schwarz gekleidet, und ihre Haare hatte sie streng nach hinten gekämmt und zum Pferdeschwanz zusammengebunden.
„Bist du bewaffnet?“, fragte Michael spöttisch.
„Immer. Pass also lieber auf.“
Von all ihren Brüdern stand sie Michael am nächsten. Vielleicht, weil er sich immer nett verhalten hatte gegenüber dem kleinen Mädchen, das ihm ständig hinterherlief, vielleicht aber auch, weil sie sich in ihrer Denkweise so ähnlich waren.
Sie ging zu ihm, umarmte ihn und küsste ihn auf die Wangen, dann wiederholte sie bei Neil das Ritual.
Als sie sich von den beiden löste, meinte Neil grinsend: „Deine Waffe solltest du wohl besser an der Garderobe abgeben. Mama ist heute etwas seltsam drauf. Du könntest dich versucht fühlen, sie zu erschießen.“
„Es wäre ein absolut gerechtfertigter Mord“, gab sie zurück.„Kein Richter in der ganzen Stadt würde mich dafür verurteilen.“
In diesem Moment kam Neils dreijähriger Sohn Benjamin aus dem Haus gestürmt, dicht gefolgt von seiner Mutter Melody. Als sich Neil mit ihr verlobte – einer gertenschlanken, protestantischen Blondine mit blauen Augen –, war er von Mama Riggio unter Beschuss genommen worden. Eine Frau von anderem Glauben und anderer ethnischer Herkunft zu heiraten, war für sie so empörend gewesen, dass sie tatsächlich Herzbeschwerden ins Spiel gebracht hatte.
Für gut sechs Monate war damit M.C. nicht mehr das vorrangige Opfer ihrer Mutter gewesen, doch dann hatte Melody ihr alle Hoffnungen auf eine noch längere Schonzeit zunichtegemacht, indem sie erst zum katholischen Glauben übertrat und schließlich auch noch Benjamin zur Welt brachte.
M.C. war von Schleimern umzingelt.
Benjamin erblickte M.C. und quietschte vergnügt. Sie ging in die Hocke und empfing ihn mit ausgestreckten Armen, woraufhin er zu ihr rannte und sich umarmen ließ. Dass sie in ihrer Tasche etwas Süßes für ihn hatte, wusste er ganz genau. Heute war es eine Packung Kekse in Tierform.
„Du verwöhnst ihn zu sehr“, sagte ihre Schwägerin.
M.C. richtete sich auf und gab lächelnd zurück: „Was willst du dagegen unternehmen? Mich festnehmen lassen?“
Neil hob seinen Sohn hoch und half ihm dabei, die Packung zu öffnen. „Wie ist die Stimmung drinnen?“, fragte er seine Frau.
„Bewölkt mit Gefahr eines Donnerwetters. Du kennst ja Mama.“
Sie alle kannten Mama. Die Blicke, die sie wechselten,wirkten so, als überlegten sie, wessen Hals an diesem Abend in der Schlinge stecken würde.
Michael sah auf seine Armbanduhr. „Die drei Nudelkocher sind spät dran.“
„Wissen die nicht, dass Kohlenhydrate out sind?“, gab M.C. zurück. „Wieder mal.“
„Ich glaube eher, sie sind wieder in“, murmelte Neil. „Wieder mal.“
In diesem Augenblick trafen ihre drei Brüder ein, jeder in seinem eigenen Wagen. M.C. sah, dass sie alle während der Fahrt telefonierten, dann stiegen sie aus und telefonierten weiter, wobei sie heftig stritten – miteinander!
Sie eilten die Stufen hinauf, jeder steckte sein Telefon weg, und im nächsten Moment war M.C. von der raubeinigen Truppe umringt. Der Geräuschpegel stieg prompt an, als sich die Geschwister untereinander begrüßten.
Oh Gott, wie sehr liebte sie doch diese Dummköpfe!
„Können wir jetzt ins Haus gehen?“, unterbrach Melody die gute Stimmung. „Mama wird sonst …“
„… noch richtig sauer werden“, führte Neil den Satz zu Ende. „Ja, das ist eine gute Idee.“
Sie begaben sich nach drinnen und riefen ausgelassen „Mama!“.
Diese kam gerade aus der Küche. „Ihr seid alle zu spät, nur Michael und Neil nicht!“, schimpfte sie und warf M.C. einen wütenden Blick zu. „Meine einzige Tochter, und sie ist mir überhaupt keine Hilfe.“
Offenbar war sie an diesem Abend wieder die Zielscheibe für ihre Mutter. Eine Überraschung war das nicht.
„Tut mir leid, Mama“, sagte sie und küsste ihre Mutter auf die
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