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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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im Augenblick keine Gedanken. Zur Zeit ging es schlichtweg um Leben und Tod. Fast meinte er, durch den eigentümlichen aseptischen Geruch der Krankenstation den süßlichen Hauch des Todes, der Verwesung, wahrzunehmen.
    Der Patient lag reglos in seinem Bett, wie er es den ganzen letzten Tag und die Nacht hindurch getan hat, hilfloses Objekt in den behandschuhten Händen der Ärzte. Sie beugten sich über ihn, tuschelten hinter ihren Mundschutzmasken miteinander und betrachteten stirnrunzelnd die grünen und gelben Monitore der lebenserhaltenden Geräte.
    Ein kleiner, stämmiger Mann drehte sich um. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Als er den Mundschutz mit einer müden Bewegung abstreifte, enthüllte er ein teigiges Gesicht, das durch den Stoppelbart etwas unpassend Verwegenes erhielt.
    Dr.
    Salvatore Secchi, der Leiter des vatikanischen Gesundheitsdienstes und Leibarzt des Papstes, hatte seit vierundzwanzig Stunden um das Leben seines Patienten gekämpft.
    Jetzt schüttelte er traurig den Kopf und sagte mit brüchiger Stimme: «Es ist sinnlos, der Papst ist tot.»
    Ovasius Shafqat fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen.

    Natürlich hatte er damit rechnen müssen, und doch – gerade dieser Papst hätte leben sollen!
    Der Privatsekretär des toten Papstes taumelte zurück, als könne er Dr. Secchis Auskunft negieren, indem er auf Distanz zu dem Arzt ging Dabei stieß er mit dem linken Arm, der bandagiert war und in einer Schlinge steckte, gegen einen Medizinschrank. Ein höllischer Schmerz durchzuckte seine ganze linke Seite, aber das war bedeutungslos im Vergleich zu seiner Verzweiflung.
    Es gab gewiss mutigere Männer als ihn, aber er hätte sein Leben gegeben, um Jean-Pierre Gardien zu retten. So viel hing von diesem Mann ab. Welche Hoffnungen hatten die Auserwählten mit seiner Wahl zum Papst verbunden, Hoffnungen für die ganze Welt!
    Warum nur hatte die Schrotladung des Attentäters den Papst mit voller Wucht getroffen und ihn, Shafqat, nur am Arm verletzt? Wäre er für den Papst gestorben, so wie Tessari und Zanni, es wäre der beste Tod gewesen, den er sich wünschen konnte. Dieses Ende aber war die schlechteste Möglichkeit des Weiterlebens.
    «Es sind zu viele Schrotkugeln nahe beim Herzen eingedrungen.» Shafqat hörte Secchis Worte wie aus weiter Ferne. «Wir mussten die Kugeln entfernen, damit Seine Heiligkeit überhaupt eine Lebenschance hatte. Aber diese Chance war gering. Zu gering.»
    Shafqat konnte den Anblick des Krankenbetts nicht länger ertragen. Die reglose Gestalt des Ermordeten mit den Schläuchen und Elektroden an seinem Körper wirkte wie ein Hohn auf den Mann, der als Papst Custos angetreten war, um die Welt zu verändern. Benommen wandte der Ire sich ab und sah aus dem Fenster über die Dächer und Gärten des Vatikans, die sich hinter dem Apostolischen Palast erstreckten. Die Morgendämmerung mit ihrem unwirklichen Licht und den langen Schatten ließ den Stadtstaat noch bizarrer erscheinen, als er es ohnehin war.
    War es richtig gewesen, Gardien hier zu behandeln, innerhalb dieser abgeschlossenen, konservativen, in vielerlei Dingen rückständigen Welt? Er zweifelte nicht an den Fähigkeiten von Dr. Secchi und seinem Team, aber in der Gemelli-Klinik hätten mehr Ärzte mit ihrem gesammelten Wissen zur Verfügung gestanden.
    Papst Johannes Paul II. hatte man damals, als er durch den Attentäter Ali Agca schwer verwundet worden war, ins Gemelli-Krankenhaus gebracht, und er hatte überlebt. Andererseits hatte gerade dieser Vorfall den Anstoß gegeben, im Apostolischen Palast ein eigenes kleines Krankenhaus einzurichten. Ein Krankentransport durch Roms verstopfte Straßen kostete wertvolle Zeit und ein Aufenthalt des Papstes in einem römischen Krankenhaus wäre für die Medien ein gefundenes Fressen gewesen.
    Shafqat wischte seine Bedenken beiseite. Die apostolische Krankenstation war zwar klein, aber medizintechnisch auf dem neuesten Stand. Und die Ärzte des vatikanischen Gesundheitsdienstes arbeiteten hauptberuflich an den großen Kliniken Roms und verfügten daher über reiche Berufserfahrung. Die meisten Kurienkardinäle hatten Domenico Musolinos Entscheidung, Papst Custos im Vatikan zu behandeln, begrüßt. Nicht wenige unter ihnen hätten es einfach unschicklich gefunden, wenn der Heilige Vater sich unter tausend gewöhnlichen Sterblichen in einem öffentlichen Krankenhaus hätte betreuen lassen. Eine Einstellung, die auf frühere Jahrhunderte zurückging, als die häusliche

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