Der Engelspapst
Bein.»
Er berichtete, dass auch Ovasius Shafqat nur leicht verletzt war. Tessari und Zanni waren auf der Stelle tot gewesen, aber das hatte Alexander nicht anders erwartet. Hatten die Verschwörer mit Tessari einen der Ihren geopfert, um ihr Ziel zu erreichen? Und falls Tessari nicht zu ihnen gehörte, musste sein Tod Riccardo Parada umso gelegener kommen. Der Vigilanzachef würde wohl dafür sorgen, dass Tessaris Nachfolger zum Kreis der Verschwörer zählte.
«Und der Papst?», fragte er mit belegter Stimme.
«Obwohl ihn etliche Kugeln getroffen haben, war noch Leben in ihm. Da ein Transport ins Krankenhaus zu gefährlich erschien, hat man ihn auf die Krankenstation im Apostolischen Palast gebracht. Nach unseren Informationen besteht wenig Hoffnung, wenn auch …»
Das leise Klingeln des Telefons unterbrach Donati.
Orlandi nahm ab und lauschte dem Anrufer. Bestürzung lag auf seinem Gesicht, als er den Hörer mit einer mechanischen Bewegung einhängte. Sein Blick pendelte zwischen Donati und Alexander.
«Sprechen Sie ruhig, Professor», sagte Donati. «Wenn wir vorankommen wollen, müssen wir einander vertrauen.»
«Ich fürchte, es gibt kein Vorankommen mehr.» Orlandis Stimme klang noch heiserer als gewöhnlich. «Der Anruf kam aus dem Vatikan. Musolino will die Hammerfrage stellen.»
Sie alle wussten, was das bedeutete.
Eine Tradition, viele Jahrhunderte älter als die Intensivstation im Apostolischen Palast, wurde in dem Krankenzimmer befolgt.
Über das Gesicht des Heiligen Vaters war ein weißes Tuch gedeckt. Bis auf Dr. Secchi hatten alle Ärzte und Schwestern den Raum verlassen. An ihre Stelle waren kirchliche Würdenträger getreten, deren rote und schwarze Farben einen starken Kontrast zum allgemeinen Weiß der Krankenstation bildeten. Die Tradition verlangte, dass die Hammerfrage in Anwesenheit des Päpstlichen Zeremonienmeisters, der Geheimsekretäre und des Kanzleivorstehers der Apostolischen Kammer gestellt wurde. Sie alle und weitere hohe Geistliche drängten sich um das Krankenbett, das zum Totenlager geworden war.
Für Ovasius Shafqat, der mit den Kardinälen Musolino und Tamberlani am Kopfende des Bettes stand, war es eine Szene wie aus einem Albtraum. Und er konnte kaum hoffen, daraus zu erwachen.
Der dunkelhäutige Sekretär Musolinos, der eine Stunde zuvor gegangen war, die kurialen Würdenträger zusammenzurufen, hielt seinem Herrn einen kleinen schwarzen Koffer hin. Nach einem Blick in die Runde erledigte Musolino seine erste Pflicht als Kardinalcamerlengo. Er nahm das weiße Tuch vom Gesicht des Papstes und reichte es Tamberlani. Musolino klappte den Koffer auf und nahm einen kleinen silbernen Hammer heraus.
Er beugte sich über den Pontifex, schlug leicht mit dem Hammer gegen dessen Stirn und fragte mit lauter Stimme:
«Jean-Pierre Gardien, lebst du, oder bist du tot?»
Genauestens befolgte er die Tradition, die es verlangte, dass der Papst mit seinem bürgerlichen Namen angesprochen wurde.
Sosehr Shafqat es auch ersehnt hatte, Gardien antwortete nicht.
Auch dann nicht, als Musolino den Vorgang zweimal wiederholte, wie es die geheiligte Regel vorschrieb.
Nachdem die Frage zum dritten Mal unbeantwortet geblieben war, richtete der Camerlengo sich auf, drehte sich zu den anderen um und sagte feierlich: «Wahrhaftig, der Papst ist tot.»
Alles war verloren! Shafqat war speiübel und er rang nach Atem.
Dennoch registrierte er, dass nur in einigen der ihn umgebenden Gesichter Trauer und Beklemmung standen. Papst Gardien hatte sich durch seine unkonventionelle Art und durch seine verwegenen Pläne zur Erneuerung der Kirche in seinem engsten Umfeld alles andere als beliebt gemacht. Manch einer schien sogar erleichtert, dass es gestern nicht zu der weltweit mit Spannung erwarteten Audienz gekommen war.
Eifrig gingen der Camerlengo, die Angehörigen der Apostolischen Kammer und Dr. Secchi daran, die Identität des Toten zu beurkunden und den Totenschein auszustellen. Mit dem negativen Ausgang der Hammerfrage galt Custos für die Kirche als tot, sein Pontifikat war erloschen.
Jetzt galt es, sich auf die Wahl des nächsten Papstes zu konzentrieren. Shafqat hätte Gift darauf genommen, dass es diesmal kein Reformer wie Gardien sein würde, sondern im Gegenteil ein erzkonservativer Kardinal. Als er die Geschäftigkeit beobachtete, mit der Gardiens Ableben beurkundet wurde, kam ihm ein Satz in den Sinn, der nach dem Tod des vorherigen Papstes in der Presse gestanden hatte: Wenn
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