Der Engelspapst
Pflege für einen Kranken tatsächlich die beste gewesen war. Dass sich seither manches verändert hatte, wollte nicht in die kurialen Betonköpfe hinein. Nicht umsonst hatte einmal ein Journalist geschrieben, einige Kardinäle seien so steif, dass sie beim Sprechen knarrten und quietschten.
«Der Heilige Vater ist gestorben. Rufen wir alle zusammen, die anwesend sein müssen, wenn die Hammerfrage gestellt wird.»
Das sagte Musolino, der dem Papst schon am Vortag die Letzte Ölung erteilt hatte. Der Kardinalstaatssekretär war, wie auch Kardinalprotodiakon Tamberlani, seit dem Attentat nicht von der Seite des Schwerverletzten gewichen.
Shafqat sah Übermüdung, aber keine Trauer in dem faltigen Gesicht des Staatssekretärs. Im Gegenteil, die tief liegenden Augen versprühten eine Energie, die in diesem Moment höchst unpassend wirkte. Vielleicht hing es damit zusammen, dass Musolino neben dem Amt des Staatssekretärs auch das des Camerlengos der heiligen römischen Kirche bekleidete. Ein Amt, dessen wahre Bedeutung erst zum Tragen kam, wenn ein Heiliger Vater verschieden war. In der Sedisvakanz, der Zeit zwischen dem Tod eines Papstes und der Wahl des neuen, leitete der Camerlengo die Kirche – und er organisierte die anstehende Papstwahl. Das war eine schwierige Aufgabe, die ein großes Maß an Energie und Durchsetzungskraft erforderte. Doch Musolino strahlte noch mehr aus. Jede Faser seines Körpers wirkte angespannt. Er schien sich geradezu auf die vor ihm liegende Aufgabe zu freuen.
Die Hammerfrage!
Es war alte Tradition, sie nach dem Tod eines Papstes zu stellen. Shafqat wusste das. Doch alles in ihm sträubte sich gegen die Vorstellung, dass die Prozedur auf die leblose Gestalt dort im Krankenbett angewendet wurde. Damit würde Jean-Pierre Gardien endgültig tot sein.
Als ein dunkelhäutiger Monsignore aus dem Staatssekretariat, der stumm in einer Ecke gesessen hatte, zur Tür ging, um den Befehl seines Herrn auszuführen, stellte Shafqat sich ihm in den Weg.
«Nicht, bitte!» Er sah zu Musolino hinüber. «Eminenz, warten Sie noch mit der Hammerfrage. Gewähren Sie mir ein paar Minuten allein mit Seiner Heiligkeit.»
Verwunderung malte sich in Musolinos sonst so beherrschten Zügen. «Das sieht das Protokoll nicht vor, Don Shafqat.»
«Ich weiß, aber trotzdem …»
Shafqat war sich der Kläglichkeit seines Vorstoßes bewusst und brachte den Satz nicht zu Ende. Er fühlte sich überfordert.
Er war schwach, ein Sünder. Warum hatte Gardien gerade ihn zum Vertrauten erkoren?
Wenn doch nur John Kembles Hand käme! Schon gestern Mittag hatte er sie in einem heimlichen Telefonat angefordert.
Die Aussichten standen zwar schlecht, aber vielleicht konnte er Gardien auf diese Weise doch helfen.
«Die Formalitäten müssen erledigt werden», sagte Musolino weihevoll. «Es ist an der Zeit, die Hammerfrage zu stellen.»
Das Aufblitzen in seinen Augen zeigte deutlich, dass es ihm um mehr ging als um Formalitäten.
Als der dunkelhäutige Monsignore auf Musolinos Wink hin den Raum verließ, schwanden Shafqats Hoffnungen.
Schwester Ilaria trat ein, und Alexander hoffte, endlich Neuigkeiten zu erfahren. Er war erst vor wenigen Minuten aufgewacht und hatte mit Schrecken festgestellt, dass es schon dämmerte. Das Gewitter hatte sich gelegt, nur noch schwach klopfte der Regen gegen die vergitterten Fensterscheiben. Er hatte aufstehen wollen, doch war das einfacher gedacht als getan. Er fühlte sich unendlich müde und matt, als habe ein Sukkubus sämtliche Lebensenergie aus ihm herausgesaugt. Jetzt versuchte er noch einmal, sich im Bett aufzurichten, und merkte, dass noch etwas anderes ihn zurückhielt. Er war an Armen und Beinen festgeschnallt!
«Guten Morgen, Signor Rosin», flötete Ilaria und stellte ein schwer beladenes Tablett auf den Nachttisch. «Sie haben die Nacht hoffentlich gut überstanden?»
«Was soll das?», knurrte er und zerrte an den straffen Lederriemen. «Bin ich ein Gefangener?»
«Professor Orlandi hielt es für besser. Sie durften sich nach der Operation nicht aufs Gesicht legen. Einen Moment.»
Während sie sich über das Bett beugte, um die Riemen zu lösen, kam ihm eine beunruhigende Erkenntnis. Das diffuse Licht, das durchs Fenster hereinfiel, stammte nicht von der Abenddämmerung.
«Was haben Sie eben gesagt, Schwester? Guten Morgen?»
«Etwas dagegen?»
«Welchen Tag haben wir denn?»
«Den vierzehnten natürlich.»
«Dann habe ich fast vierundzwanzig Stunden
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