Der Engelspapst
ein Papst stirbt, macht man eben einen neuen.
Der Raum leerte sich. Man hatte das Wichtigste gesehen und gehört und brannte darauf, die Neuigkeit nach draußen zu tragen. Es war ein offenes Geheimnis, dass mancher Monsignore, Erzbischof und auch Kardinal einem Vatikanisten als Informant diente. Dafür gab es Gegenleistungen der unterschiedlichsten Art – von einem guten Essen bis hin zu anderen fleischlichen Genüssen. Bevor Monsignore Wetter-Dietz das Ende von Custos’ Amtszeit offiziell bekannt gab, würde es in Rom schon die Runde machen: « II Papa e morto! »
– «Der Papst ist tot!» Und alle Kirchenglocken würden läuten.
Ein Mann in der Uniform der Vatikanpost schob keuchend einen kleinen Wagen mit einem schweren Paket durchs Gedränge und rief: «Eine Eilsendung für Don Shafqat! Ist eben angeliefert worden.»
Musolino warf dem Postbeamten einen strafenden Blick zu.
«Hat der Herrgott Sie verlassen, Mann? Jetzt ist wohl kaum der richtige Augenblick, die Post auszuteilen!»
«Aber Don Shafqat hat mich beauftragt, ihm das Paket unter allen Umständen sofort zu bringen», rechtfertigte der Postbeamte sich. Im Angesicht der hohen Würdenträger zog er sein schweißfleckiges hellblaues Hemd glatt und strich die dunkle Krawatte zurecht.
«Das stimmt», mischte Shafqat sich ein.
Eilig trat er zu dem Postler und betrachtete die Sendung.
Tatsächlich, sie kam aus England! Seine fast schon erloschene Hoffnung loderte wieder auf.
«Eine Unterschrift bitte, Hochwürden.»
Der Postbeamte hielt ihm Klemmbrett und Kugelschreiber unter die Nase, und er bestätigte den Empfang.
Mit fliegenden Fingern öffnete Shafqat das Paket. Unter zwei Schichten dicken Packpapiers kam eine mit Styroporkugeln gefüllte Metallkiste zum Vorschein. In das Styropor war sorgsam ein Kasten aus Eichenholz gebettet. Hastig überflog er den beiliegenden Brief des Bischofs von Hereford, bevor er den Holzkasten öffnete.
Die Kurialen, die sich neugierig um ihn geschart hatten, stöhnten auf und wichen zurück, als sie den Inhalt erblickten.
Shafqat dagegen war kein bisschen erschrocken. Er hatte gewusst, was ihn erwartete, hatte es früher schon einmal gesehen. Die schwärzliche, mumifizierte Klaue mochte aussehen wie aus dem Fundus eines Gruselkabinetts, aber sie war eine Reliquie. Bevor sie abgehackt wurde, hatte die Hand dem Priester John Kemble gehört, der anno 1679 hingerichtet und 1970 heilig gesprochen worden war.
Als Shafqat die Klaue aus dem Kasten hob, traten die Kurialen noch weiter zurück. Andächtig starrte er auf das mumifizierte Stück Mensch und rätselte, ob das Wunder, das er vor vielen Jahren erlebt hatte, sich wiederholen würde.
«Was ist das, Don Shafqat?», fragte Musolino in demselben unduldsamen Ton, in dem er mit dem Postbeamten gesprochen hatte.
«Eine Hand.»
«Wir sind nicht hier, um uns von Ihnen zum Narren halten zu lassen», wies der Staatssekretär ihn zurecht.
Shafqat hielt die Hand hoch, sodass alle sie sehen konnten.
«Das ist die Hand des John Kemble, eine anerkannte Reliquie unserer Kirche in England. Ich habe den Bischof von Hereford gebeten, sie uns zu schicken, weil ich hoffe, damit Seiner Heiligkeit helfen zu können.»
«Helfen?», krähte der alte Tamberlani. «Ja, wie denn das?»
«Ich habe schon einmal erlebt, wie Kembles Hand Wunder gewirkt hat», sagte Shafqat, der auf einmal eine merkwürdige Gelassenheit verspürte, so als übertrage die Reliquie eine geheime Kraft auf ihn. «Damals war ich ein junger Priester an der Kirche St. Francis Xavier in Hereford, wo diese Reliquie aufbewahrt wird. Als Pater Christopher Jenkins von St. Francis Xavier nach einem Schlaganfall in ein tiefes Koma fiel, sahen die Ärzte keine Chance mehr für ihn. Ich war dabei, als Jenkins’
Stellvertreter, Pater Tumelty, die Hand vom Altar holte und auf Pater Jenkins’ Stirn legte. Kurz darauf erwachte Jenkins aus dem Koma, und nach einiger Zeit verschwanden auch die durch den Schlaganfall verursachten Beeinträchtigungen.»
Ein Detail hatte Shafqat den Kurialen verschwiegen: Er, Pater Ovasius Shafqat, hatte den Pater in den Armen gehalten, als Anthony Tumelty ihm die Kemble-Hand auf die Stirn legte.
«Ob die Hand das Wunder vollbracht hat oder nicht, spielt keine Rolle», rief Tamberlani, offenbar verärgert über Shafqats Aktionismus. «Der Fall in Hereford war anders gelagert. Damals ging es um einen Priester, der im Koma lag. Unser Heiliger Vater aber ist tot!»
«Was kann es dann schaden,
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