Der Engelspapst
wollte er einen anderen Takt vorgeben. «Lassen Sie uns höflich sein und Signor Rosins Fragen beantworten, dann wird er auch höflich sein. Wir sitzen in einem Boot. Und wir müssen einen Plan entwickeln. Auch wenn unser Bruder Gardien tot ist, dürfen wir nicht aufgeben. Retten, was noch zu retten ist – das muss jetzt die Parole sein.»
Er fragte Alexander, was er trinken wolle. Schwester Ilaria brachte ihm einen mit Wasser verdünnten Whiskey und verließ den Raum.
«Stellen Sie also Ihre Fragen, Signor Rosin», bat Orlandi.
«Wer sind Sie?», fragte Alexander. «Und was sind Ihre Ziele?»
«Das nenne ich auf den Punkt kommen», sagte Orlandi. «Und ich will Ihnen genauso knapp und präzise antworten. Wir sind ein Kreis von Christen, die sich Electi nennen, die Auserwählten. Warum? Weil wir wissen, dass und wie die Lehre Christi im Laufe zweier Jahrtausende verfälscht wurde. Unser Ziel ist es, Christi Wort wieder zur Maxime des kirchlichen und christlichen Handelns zu machen. Jean-Pierre Gardien, der zu unserem Kreis gehörte, hätte als Pontifex der heiligen römischen Kirche dieses Ziel verwirklichen können. Jetzt ist es wieder in weite Ferne gerückt.»
«Also hat der Zirkel Recht», entfuhr es Alexander. «Gardien war tatsächlich ein Usurpator auf dem Heiligen Stuhl. Der Antichrist!»
«So ein Blödsinn», sagte Orlandi scharf. «Wie kann jemand der Antichrist sein, der Christi wahre Lehre vertritt? Und wie kann jemand ein Usurpator sein, der ordnungsgemäß zum Papst gewählt worden ist. Sicher haben wir bei der Wahl ein wenig Politik hinter den Kulissen gemacht, aber das tun andere in der Kurie auch. Schon lange haben wir uns bemüht, einen der Unseren auf den Stuhl Petri zu setzen. Dass die Kardinäle des rechten und des linken Flügels sich bei der letzten Wahl nicht auf einen Kandidaten einigen konnten, hat uns endlich zum Durchbruch verholfen. Entnervt von der langen Prozedur haben viele für Gardien gestimmt, der bislang unauffällig war und ihnen harmlos erschien, wie eine gut zu führende Marionette.»
Solbelli beugte sich vor. «Haben Sie eben vom Zirkel der Zwölf gesprochen, Alexander?»
«Das habe ich», sagte Alexander in dem fatalen Bewusstsein, dass schon wieder er es war, der die Antworten gab. «Nach fast fünfhundert Jahren existiert der Zirkel noch oder schon wieder.»
«Das wissen wir», unterbrach der Privatgelehrte ihn zu seinem Erstaunen. «Aber was wissen Sie davon?»
«Elena und ich haben ein Geheimtreffen des Zirkels belauscht und mit angehört, wie das Attentat auf den Papst beschlossen wurde.»
«Warum haben Sie uns nicht sofort verständigt?», bellte Donati. «Wir hätten Gardien retten können!»
«Wen hätte ich verständigen sollen? Professor Orlandi, den ich noch gar nicht kannte? Signor Solbelli, den Kastellan der Engelsburg? Oder Sie, Commissario, der Sie mir offensichtlich auch nicht alles über sich erzählt haben? Was hatten Sie gestern beim Vatikan zu suchen?»
«Viele von uns waren dort, um Gardien im Notfall beizustehen», erwiderte Donati. «Er hatte etwas Großes vor, und niemand wusste genau, wie es ausgehen würde.»
Solbelli beugte sich vor. «Alexander, erzählen Sie uns alles, was Sie über den Zirkel erfahren haben!»
Nach kurzem Überlegen kam Alexander der Bitte nach. Er brauchte Verbündete, wenn er Elena helfen wollte. Also erzählte er den drei Auserwählten alles, sagte ihnen sogar, wer das Haupt der Zwölf war.
«Dann liegt der Smaragd noch immer in der unterirdischen Kapelle», stellte Solbelli fest und klopfte auf das Buch. «Seit fünfhundert Jahren womöglich. Wie Albert Rosin es beschrieben hat.»
«Was zur Hölle hat es mit diesem Smaragd nur auf sich?», rief Alexander; der Whiskey hatte ihm die Zunge gelöst. Offenbar machte ihm das Betäubungsmittel, das Orlandi ihm gegeben hatte, auch für kleine Alkoholmengen anfällig. Er fragte sich, ob der Professor ihm deshalb einen Drink angeboten hatte.
«Man müsste den Stein in Händen halten, um das genau zu sagen», murmelte Solbelli, mehr zu sich selbst.
«Warum nicht?», fragte Donati. «Signor Rosin kann uns zu der Kapelle führen.»
«Das ist es!» Orlandi schnippte mit den Fingern und richtete sich auf. «Das ist der Plan, mit dem wir unser Ziel doch noch erreichen könnten. Wir müssen die Wahre Ähnlichkeit Christi in unseren Besitz bringen!»
«Warum?» Alexander war skeptisch.
«Das ist eine lange Geschichte, zu deren Erörterung uns jetzt die Zeit fehlt»,
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