Der Engelspapst
Leute, sich zu konzentrieren.»
«Erklären Sie das Signor Rosin», erwiderte Donati.
«Was will er?»
«Hinein.»
«Ah, verstehe.» Der Gelehrte musterte Alexander. «Na, dann kommen Sie, Signor Rosin.»
«Aber …»
Solbelli erstickte Donatis Protest mit einer herrischen Handbewegung. «Ich kann verstehen, dass Signor Rosin im Bilde sein will. Schließlich hat er einen Eid geschworen, dem Heiligen Vater beizustehen. Traurig genug, dass nur einer aus der ganzen Schweizergarde in der Lage ist, seinen Eid zu halten.
Ich an seiner Stelle würde auch dabei sein wollen.»
Zweifelnd, vielleicht auch ein wenig eifersüchtig, sah Donati zu, wie Alexander durch die Tür ging, die Solbelli gleich darauf schloss.
Kein weiß-steriles Krankenzimmer, keine Infusionen, keine Monitore, die Auskunft über den Zustand des Papstes gegeben hätten. Natürlich nicht. Alexander hätte wissen müssen, dass in dieser
Privatklinik
nichts so war wie in anderen
Krankenhäusern. Man konnte den Raum am ehesten als großes, spartanisch eingerichtetes Schlafzimmer bezeichnen. Ein schmales Bett stand frei in der Mitte. Seine Heiligkeit schien darin einen friedlichen Schlaf zu schlafen.
Rund um das Bett knieten Männer und Frauen, die Auserwählten. Ihre Hände lagen auf dem Kopf des Papstes, auf seiner Stirn, seinem Gesicht. Etliche Arme reckten sich unter die Bettdecke, um den Leib des Schlafenden zu berühren. Es sah aus wie eine kultische Handlung, eine religiöse Zeremonie, die umso seltsamer anmutete, als die Auserwählten ganz normal gekleidet und nicht etwa in Priestergewänder gehüllt waren. Es herrschte vollkommenes Schweigen, alle wirkten höchst konzentriert. Von Alexander schien niemand Notiz zu nehmen.
Solbelli zeigte auf einen gepolsterten Stuhl in einer Ecke.
Alexander nahm schweigend Platz und sah zu, wie der Privatgelehrte sich neben Orlandi an das Kopfende des Bettes kniete, seine Hände auf das Gesicht des Papstes legte und ebenfalls in diesen tranceartigen Zustand sank. Es war so unerträglich still, dass Alexander kaum zu atmen wagte.
Hinterher hätte er nicht sagen können, wie lange er auf dem Stuhl gesessen und die anderen einfach nur angesehen hatte.
Von den Auserwählten schien eine hypnotische Kraft auszugehen, die ihn aus Zeit und Raum entrückte. Ein wohliges Gefühl ergriff von ihm Besitz, warm und prickelnd, als fließe eine geheime Energie durch das Zimmer. Es erinnerte ihn an seinen Besuch bei Papst Custos, vor jener kleinen Ewigkeit von vierzehn Tagen, als der Heilige Vater ihn von seinen Schmerzen geheilt hatte. Jetzt empfand er die gleiche Geborgenheit.
Er war nicht mehr im Geringsten verwundert über die ungewöhnliche Zeremonie. Warum auch? Er hatte es geahnt, bevor er das Zimmer betreten hatte. Nur hatte der rationale Teil seiner selbst die Erkenntnis unterdrückt. So wunderte er sich auch nicht, als der Heilige Vater die Augen aufschlug, sich umblickte und mit leiser Stimme zu den anderen sprach, Worte des Dankes an seine «Brüder und Schwestern» richtete.
Die ließen erschöpft von ihm ab, zitternd, schweißüberströmt, nahezu am Ende ihrer Kräfte. Beim Verlassen des Zimmers stützten sie sich gegenseitig. Nur Orlandi blieb am Bett hocken und sprach leise mit dem Papst.
Solbelli trat heran und lehnte sich schwer atmend gegen die Wand. «Bruder Gardien muss sich ausruhen. Auf was warten Sie noch, Alexander?»
«Auf Erklärungen.»
«Erklärungen wollen Sie also, Alexander. Und auch noch eine ganze Menge, schätze ich.»
«Ich hoffe, es ist nicht zu viel verlangt, aber ich …»
«Sie sind reichlich verwirrt, natürlich.»
Der Papst lächelte verständnisvoll. Jedenfalls legte Alexander sein Mienenspiel so aus. In dem Dämmerlicht, das durch die verhängten Fenster ins Zimmer fiel, war das nicht eindeutig festzustellen.
Mehr als zwölf Stunden war es her, dass Alexander der eigentümlichen Zeremonie beigewohnt hatte, mit der die Auserwählten den Heiligen Vater aus dem Koma geholt hatten.
Alexander hatte für ein paar Stunden Schlaf gefunden, unruhigen Schlaf, angefüllt mit dem Traumgesicht der um Hilfe rufenden Elena; er fühlte sich nicht sonderlich ausgeruht. Ganz anders Custos. Seine Lebhaftigkeit war erstaunlich angesichts der schweren Schussverletzungen. Für ihn schienen nicht zwölf Stunden, sondern zwölf Wochen vergangen zu sein.
Er lag nun in einem anderen, kleineren Zimmer im obersten Stockwerk und wurde weiterhin von zwei Bewaffneten bewacht.
Dario und Leone
Weitere Kostenlose Bücher