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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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klatschte in die Hände. «Sehr gut, Alexander!
    Erinnern Sie sich auch an die Anzahl und die Namen der von Matthäus erwähnten Brüder Jesu?»
    «Ich glaube, es waren drei. Jakobus, Josef und Simon.»
    «Einer fehlt noch. Der vierte Bruder Jesu hieß Judas.»
    «Eure Heiligkeit glauben also, dass es tatsächlich Brüder waren?»
    «Ich glaube es nicht, ich weiß es.» Er zeigte auf das aufgeschlagene Buch. «Kehren wir zum Letzten Abendmahl zurück. Natürlich ist das eine Stilisierung, wie auch die Anzahl der Jünger keine historische Tatsache ist, sondern ein Symbol.
    Die Zwölf ist die Zahl des geschlossenen Kreises. Es gibt zwölf Stämme Israels, zwölf Edelsteine auf dem Brustschild des Hohenpriesters, zwölf kleine Propheten und demgemäß zwölf Apostel. Zwölf Stunden haben Tag und Nacht, zwölf Monate hat das Jahr, und wir kennen zwölf Tierkreiszeichen.»
    «Ich verstehe», sagte Alexander. «Es können auch acht oder vierzehn Jünger gewesen sein, die das letzte Mahl mit Jesus teilten.»
    Custos nickte. «Falls es ein solches Mahl in der überlieferten Form überhaupt gegeben hat. Wenn die Zahl der Jünger symbolisch zu verstehen ist, können sie selbst es auch sein.»
    «Sie meinen, einige Jünger hat es gar nicht gegeben?»
    «Es kann sich durchaus sowohl bei Figuren als auch bei einzelnen Szenen um Fiktion handeln. Leonardo da Vinci hat drei Jünger abgebildet, die zusammengehören und seine Botschaft verkörpern. Neben Jakobus dem Jüngeren ist Judas Iskariot wichtig, hier, in der linken Bildhälfte. Sehen Sie, wie er sich erschrocken zurücklehnt und die rechte Hand um den Beutel mit den dreißig Silberlingen zusammenkrampft? Die ganze Verratsgeschichte ist unter Historikern sehr umstritten.
    Wie auch immer Jesus ausgeliefert wurde, die von Leonardo festgehaltene Ankündigung des Verrats und des eigenen Todes durch Jesus ist eine Erfindung der Evangelisten, um zu zeigen, dass Jesus nicht gescheitert ist, sondern gerade durch seinen Tod zum Erlöser der Welt wurde. Dazu mussten Verrat und Tod zu Bestandteilen des göttlichen Plans erklärt werden.»
    «Sie sprachen eben von drei Jüngern, Heiligkeit.»
    «Schauen Sie hier rechts, die Figur mit dem warnend oder protestierend emporgereckten Zeigefinger. Das ist der ungläubige Thomas. Sein Unglauben, der Verrat des Judas und die Ähnlichkeit von Jesus und dem jüngeren Jakobus sind der Schlüssel zu Leonardos Botschaft. Verstehen Sie?»
    «Nicht im Geringsten», bekannte Alexander.
    Unbeirrt fuhr der Papst fort: «Um Thomas ranken sich zahlreiche Legenden und apokryphe Schriften. Darin wird er häufig Judas Thomas genannt. Bedenken Sie, dass auch einer von Jesu Brüdern Judas hieß und ein anderer Jakobus.»
    Auf einmal sah Alexander so klar, als sei er in die Gedanken des Heiligen Vaters eingetaucht. «Judas, Thomas und Jakobus –
    die drei Jünger auf dem Bild sind einer!»
    Custos nickte. «Ganz recht. Leonardo hat die Wesenszüge einer Person aufgespalten und auf drei Jünger übertragen.»
    «Der Ungläubige, der Verräter und der mit dem Aussehen Jesu», stieß Alexander hervor. «Sie sind eine Person, ein Bruder des Herrn! Aber welcher?»
    «Judas, auch bekannt unter den Namen Judas Thomas, Didymos Judas Thomas oder Thomas Didymos. Was so verwirrend klingt, ist in Wahrheit recht einfach. Thomas, im Aramäischen Toma, bedeutet Zwilling. Dieselbe Bedeutung hat der Name Didymos. Jemanden als Thomas Didymos zu bezeichnen, als Zwilling-Zwilling, wäre also überflüssig – es sei denn, der Name soll ein besonderer Hinweis sein. Ein Hinweis darauf, dass Judas, genannt Thomas Didymos …»
    «Der Zwillingsbruder Jesu war!», rief Alexander aus und wurde sich dann erst bewusst, dass er dem Papst in die Rede gefallen war. «Ich habe von den Geschichten über diesen Zwillingsbruder gelesen, hielt sie aber für Legenden.»
    «Sie sind wahr, leider», sagte Custos. «Denn dieser Judas war in der Tat ein Verräter, nicht nur an seinem Zwilling Jesu, sondern auch an dessen Lehre. Sehen Sie selbst!»

    Nun öffnete er den Holzkasten und nahm den Smaragd heraus, dessentwegen Rom vor fünfhundert Jahren verwüstet worden war: die Wahre Ähnlichkeit Christi. Der hühnereigroße Stein strahlte ein intensives Leuchten aus, das mehr zu sein schien als eine Reflexion des Lampenlichts. Es war, als lodere ein Feuer in dem Edelstein. Ein Feuer, das die beiden Gesichter, die Alexander erblickte, als der Papst den Stein langsam drehte, mit Leben erfüllte. Es konnten

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