Der Engelspapst
die meisten Gardisten wussten schließlich nichts von den Machenschaften des Zirkels. Von der Hupe aufgeschreckt und vom Fernlicht geblendet, sprangen die beiden Schweizer tatsächlich zur Seite.
Der Wagen prallte gegen das Gitter. Dem dunklen Klatschen des ersten Aufpralls folgte ein markdurchdringendes Kreischen, als Metall sich an Metall rieb. Funken sprühten durch die Nacht, die beiden Torflügel sprangen auf und gaben das Fahrzeug frei.
Feine Risse durchzogen die Windschutzscheibe, die nicht mehr lange durchhalten würde. Aber das war unwichtig, solange sie nur die Via di Porta Angelica erkennen konnten.
Dario bog nach links ab, schaltete auf Abblendlicht um und sagte mit einem zufriedenen Grinsen: «Das war ein tolles Ding!»
21
Freitag, 15. Mai, vormittags
Alexander konnte kaum fassen, dass die Entführung des Papstes so reibungslos abgelaufen war. Wäre nicht Don Shafqats Tod zu beklagen gewesen, hätte man von einem Erfolg auf der ganzen Linie sprechen können. Donati hatte den einzig möglichen Plan entworfen: überraschend und, vor allen Dingen, mitten aus dem Vatikan heraus zuschlagen. Hätten sie erst gewaltsam in den Kirchenstaat eindringen müssen, wären Schweizergarde, Vigilanza und italienische Polizei alarmiert gewesen und hätten ein Entkommen verhindert.
Das alles ging Alexander durch den Kopf, als er sein Zimmer in Orlandis Privatklinik verließ. Er hatte geduscht und ein für italienische Verhältnisse ungewöhnlich deftiges Frühstück zu sich genommen. Donatis Rat, sich eine Weile hinzulegen, hatte er in den Wind geschlagen. Der Schlaf einer ganzen Nacht mochte ihm fehlen, aber nach den überstandenen Aufregungen war ihm nicht nach Bettruhe zu Mute. Er hätte vermutlich kein Auge zugetan. Zu sehr brannte er darauf zu erfahren, wie die weiteren Pläne der Auserwählten aussahen.
Über den Wolken war die Sonne aufgegangen und trübes Morgenlicht fiel durch die vergitterten Fenster. In den Gängen brannten noch die Fin-de-Siecle-Lampen, die, wie so vieles hier, überhaupt nicht nach einem Krankenhaus aussahen. Eine etwa zehnköpfige Gruppe von Männern und Frauen eilte an ihm vorbei die Treppe hinauf. Alexander entdeckte Donati und Solbelli unter ihnen und folgte der Gruppe neugierig. Es ging hinauf in den obersten Stock, wo die Gruppe hinter einer zweiflügeligen Tür verschwand. Vor der Tür hielten Dario und Leone Wache. Beide hatten sie eine handliche MP vom Typ Spectre M4 umgehängt, die Schulterstütze angeklappt. Die nur fünfunddreißig Zentimeter lange Waffe, in deren vierreihiges Magazin fünfzig 9-mm-Patronen passten, galt aufgrund ihrer Kompaktheit und Schusskapazität und weil sie so schnell und mit großer Treffsicherheit eingesetzt werden konnte, als ideal für den Personenschutz. Für Alexander war es keine Frage, welche Person Dario und Leone schützten.
Donati war hinter den anderen zurückgeblieben und drehte sich jetzt so unerwartet um, dass Alexander fast mit ihm zusammengeprallt wäre.
«Wohin des Wegs?»
Alexander nickte in Richtung Tür. «Zu Seiner Heiligkeit.»
«Woher wollen Sie wissen, dass der Papst sich hier aufhält?»
«Intuition.»
«Sie wären ein guter Polizist. Trotzdem können Sie da nicht hinein, ebenso wenig wie ich. Nur die Auserwählten dürfen an der Sitzung teilnehmen.»
«Ich dachte, Sie gehören zu den Auserwählten, Commissario?»
«Ich gehöre zu ihnen, aber ich bin keiner von ihnen. Wenn Sie so wollen, arbeite ich für sie, aus Überzeugung, nicht für Geld.
Professor Orlandi hat sich um mich gekümmert, damals, nach der Bombengeschichte in Mailand.» Donatis Gesicht verfinsterte sich bei der Erinnerung. «Orlandi und seinen besonderen Fähigkeiten verdanke ich, dass ich überhaupt noch am Leben bin. Er hat meinen Körper, aber auch meinen Glauben zusammengeflickt, dafür schulde ich ihm und den Auserwählten ewigen Dank.»
«Statten Sie diesen Dank ab, indem Sie uns Schweizern Unterricht erteilen, um auf diesem Weg an Informationen über den Zirkel der Zwölf zu gelangen? Und könnte es sein, das Sie selbst dafür gesorgt haben, dass Sie Bazzini für die Ermittlungen zur Seite gestellt wurden?»
Donati lächelte. «Ich sagte schon, Sie gäben einen guten Polizisten ab, Signor Rosin.»
Ein grauhaariger Kopf erschien in der Tür und sechseckige Brillengläser reflektierten das satte Licht der Deckenlampen.
«Geht’s bei den Herren vielleicht ein wenig leiser?», fragte Solbelli vorwurfsvoll. «Hier drin versuchen ein paar
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