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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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waren von Männern abgelöst worden, deren Namen Alexander nicht kannte. Auch sie trugen die griffigen Spectre-MPs. Alexander hatte beobachtet, dass weitere bewaffnete Wachen in den ausgedehnten Grünanlagen patrouillierten.

    Vor fünf Minuten war Solbelli zu ihm gekommen, hatte ihn zum Papst geführt und sie auf Geheiß des Heiligen Vaters allein gelassen. Zum zweiten Mal traf Alexander diesen Mann unter vier Augen. So vieles war seit ihrer ersten Begegnung geschehen, hatte sich in den zwei Wochen verändert. Von der Beklommenheit, die ihn damals befallen hatte, als Don Shafqat ihn in das private Arbeitszimmer Seiner Heiligkeit führte, spürte er jetzt nichts. Was nicht daran lag, dass der Heilige Vater einen ganz und gar weltlichen Pyjama trug. Brennende Neugier und die Erkenntnis, dass sie beide in dasselbe dunkle Spiel verstrickt waren, verdrängten jede Ehrfurcht.
    «Ich will Ihnen keine langen Vorträge halten, Alexander.» Die Stimme des Papstes klang voll und kräftig, nicht wie die eines Schwerverletzten. «Am besten stellen Sie einfach Ihre Fragen.»
    Alexander beugte sich vor, sah ihm in die Augen und fragte:
    «Eure Heiligkeit, sind Sie der Engelspapst?»
    Zu seinem Erstaunen kicherte der Papst. «Bei allen Heiligen, Sie verstehen es, auf den Punkt zu kommen.»
    «Sie wollten, dass ich frage.»
    «Und Sie sollen Ihre Antwort bekommen: Ja und nein. Ich bin kein überirdisches Wesen, auch wenn das, was Sie in meiner Gegenwart erlebt haben, Ihnen einen anderen Eindruck vermittelt haben mag. Ich bin nicht gesandt worden, um alte Prophezeiungen zu erfüllen. Aber ich will das vollbringen, was seit Jahrhunderten als Aufgabe des Engelspapstes betrachtet wird. Die Kirche soll wieder das Wort Jesu verkünden und nicht die im Laufe zweier Jahrtausende entstandenen Verfälschungen, ja Verdrehungen seiner Lehre. Für alle, die dieses Ziel auch verfolgen, bin ich der Engelspapst – für meine Gegner wohl eher der Antichrist.»
    «Und um die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu lenken, wollten Sie Wunder vollbringen.»
    «So ähnlich, ja. Ich würde es nicht Wunder nennen, auch wenn die Medien dieses Schlagwort lieben. Ursprünglich wollte ich viel langsamer vorgehen und die Gläubigen behutsam an die Wahrheit heranführen. Doch dann haben die Ereignisse sich überstürzt, angefangen mit dem Mord an Oberst Rosin und seiner Frau – ich musste einfach handeln. Nach unserer ersten Begegnung begann ich mich zu fragen, ob ein schnelleres Vorgehen nicht weitere Opfer verhindern könnte. Und als sich bei der Generalaudienz die Gelegenheit bot, meine heilenden Kräfte zu demonstrieren, habe ich nicht länger gezögert.»
    «Für mich ist es ein Wunder, was Sie in der Nervi-Halle vollbracht und was die Auserwählten heute Morgen bei Ihnen erreicht haben, Heiligkeit. Was geschieht da?»
    «Um Ihnen das zu erläutern, muss ich Ihnen verdeutlichen, wer ich bin. Schalten Sie doch bitte das Licht ein!»
    Alexander kam der Bitte nach. Eine vierflammige Deckenlampe tauchte den Raum in warmes, anheimelndes Licht.
    Auf dem Tisch neben dem Bett des Papstes lagen mehrere Bücher neben einer Holzschatulle. Es war der Kasten, den sie in der Nacht aus der Edelsteinkapelle geborgen hatten.
    Dieses unscheinbare Behältnis verkörperte für ihn alle Geheimnisse, die sich in den letzten zwei Wochen vor ihm aufgetürmt hatten. Schon vor fünfhundert Jahren hatte sein Vorfahr Albert Rosin für den Kasten – oder für das, was er enthielt – sein Leben aufs Spiel gesetzt.
    Er war enttäuscht, als Custos statt zu dem Kasten zu einem großformatigen Buch griff. Die unbekümmerte Art, wie der Papst sich im Bett aufsetzte, passte nicht zu einem Mann, der kürzlich operiert und erst wenige Stunden zuvor aus dem Koma erweckt worden war. Custos blätterte in dem Bildband und zeigte Alexander schließlich ein Gemälde, das auf einer Doppelseite abgebildet war: dreizehn Männer, die, mit den unterschiedlichsten Anzeichen der Erregung, an einer langen Tafel saßen oder gerade von ihr aufgesprungen waren; nur der Mann in der Mitte, der langes Haar und einen Bart trug, saß gelassen auf seinem Platz und streckte in beruhigender Geste die Hände aus.
    «Das Abendmahl » , sagte Alexander und fügte nach kurzer Pause hinzu: «Von Leonardo da Vinci.»
    Das Universalgenie der Renaissance schien ihn regelrecht zu verfolgen, tauchte immer wieder auf: als Erfinder lederner Taucheranzüge, als Spion und Anführer von Ketzern, jetzt als Maler.
    «Bruder Solbelli

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