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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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während er das kleine Stück meerumwogten Landes durch sein Fernglas betrachtete.
    Es klang wie ein Schwur, die geheimnisvolle Insel nicht ohne Elena zu verlassen.
    Sie standen auf dem Ausflugsdeck und starrten gebannt auf Brecqhou, das sich immer deutlicher aus dem Schatten Sarks löste und eigene Konturen gewann. Gierig griff Alexander nach dem Fernglas. Spartaco, der mit seinem frischen Igelhaarschnitt gewöhnungsbedürftig aussah, holte die sündhaft teure Pentax-Kamera aus seiner Umhängetasche und begann die Insel zu fotografieren.
    Das Fernglas enthüllte Alexander die Einzelheiten des schmalen Eilands, das sich von Norden nach Süden hinzog.
    Über den hohen Steilhängen am Nordende standen auf gewelltem Hügelland mehrere lang gestreckte Wirtschaftsgebäude. Zur Mitte hin wurde die Küstenlinie flacher und gab den Blick auf das pompöse Schloss frei, so groß und klotzig, dass es die ganze Insel zu erdrücken schien. Vor der zur offenen See gelegenen östlichen Mauer befand sich eine niedrigere, ebenfalls mittelalterlich wirkende Bastion, so als müsste das Schloss gegen Angriffe verteidigt werden.
    Tatsächlich war die Küste an dieser Stelle am flachsten. Es war wohl der einzige Punkt, den nicht steile, zerklüftete Klippen abschirmten. Ein gewundener Weg führte hinunter zum Meer und endete bei einem Barackenkomplex, vermutlich Bootsschuppen. Zum Süden hin wurde die Insel wieder hügelig.
    Dort standen ein paar vereinzelte Häuser und Schuppen rund um den leeren Hubschrauberlandeplatz.
    «Sieht so einladend aus wie die Insel des Dr. Moreau», sagte Alexander. «Und wirkt trotz der Bebauung ausgestorben wie Robinsons Eiland.»
    «Vielleicht ist Camelot verwaist, weil Artus und die Ritter seiner Tafelrunde gerade den Heiligen Gral suchen», meinte Spartaco, während er die Kamera öffnete, um den Film zu wechseln.
    Den Gral oder die Wahre Ähnlichkeit Christi, dachte Alexander.
    Die Castle Cornet drehte nach Norden ab, um an Brecqhou vorbei Sark anzulaufen. Der Schlenker an Brecqhous Ostküste entlang war ein Umweg, ein Service für die Touristen. Viel näher wäre das große Fährschiff auch nicht an das wenig einladende Eiland herangekommen. Rund um die kleine Insel, wie auch an vielen Stellen vor der Küste von Sark, ragten zerklüftete Felsen aus dem Wasser.
    Alexander, der in den vergangenen Tagen jede nur auffindbare Broschüre über die Kanalinseln verschlungen hatte, wusste, dass noch viel mehr der gefährlichen Brocken unter der Wasseroberfläche darauf lauerten, einen Schiffsrumpf aufzuschlitzen. Wer Brecqhou anlaufen wollte, brauchte ein kleineres Boot, und selbst dann war es für einen Ortsunkundigen ein schwieriges Manöver. Die Einheimischen nannten solch einen Felsen «Boue», was «versunkener Stein» bedeutete. Der Begriff stammte aus dem normannischen Französisch, aus der Zeit, als die Normannen über die Kanalinseln geherrscht hatten.
    Jeder größere Boue hatte einen eigenen Namen – den eines Fischers oder eines Schiffes, dem er zum Verhängnis geworden war.
    Mit beschleunigtem Tempo rauschte die Fähre an der unwirtlichen Nordküste Brecqhous vorbei, und die Gouliot-Passage kam in Sicht. Ein schmaler natürlicher Kanal zwischen der kleineren Insel und Sark. Wütend über die Einengung schlug das Meer mit hohen, Gischt sprühenden Wellen gegen die Westküste Brecqhous und die Ostküste Sarks, von denen eine schroffer und abweisender war als die andere. Meer und Fels lagen hier in einem unermüdlichen, Jahrtausende währenden Kampf, der jeden zu zermalmen drohte, der sich zwischen die Fronten wagte. Bei diesem Anblick verstand Alexander, warum die kleinere Landmasse den Namen Brecqhou trug, «Insel der Schlucht».
    «Die Entfernung zwischen beiden Inseln soll dreiundsiebzig Meter betragen», bemerkte er.
    Spartaco ließ die Kamera sinken und knurrte: «Das sind selbst für einen guten Schwimmer dreiundsiebzig Meter zu viel.»
    «Und wenn zwei gute Schwimmer sich mit einer Leine, die sie miteinander verbindet, absichern?»
    Der Italiener sah ihn an wie einen Vollidioten. «Dann wird man zwei tote gute Schwimmer, die an einer Leine hängen, aus dem Meer fischen.»
    Die von schäumenden Wellen aufgewühlte Durchfahrt verschwand hinter Sarks Klippen. Indem sie die spitze Landzunge im Norden Sarks umrundeten, entglitt ihren Blicken auch Brecqhou, die Insel, derentwegen sie unter falschen Namen, mit gefälschten Papieren und auf unterschiedlichen Wegen auf die Kanalinseln gekommen waren.

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