Der Engelspapst
Bootsverleiher in St. Peter Port schien darauf zu bauen, dass auf den Kanalinseln keine Habenichtse Urlaub machten. Oder er hatte Alexander – dem angeblichen Münchner, der so gern auf dem Starnberger See segelte –
angemerkt, wie scharf er auf die kleine Schaluppe war. Das wendige, überaus seetüchtige Boot war genau das, wonach er schon bei zwei Bootsverleihern vergeblich gesucht hatte, und da er von den Auserwählten großzügig bedacht worden war, hatte er den exorbitanten Preis ohne Feilschen akzeptiert. Ein zweites kleines Vermögen war für ihre nicht sehr umfangreiche, aber nützliche Ausrüstung draufgegangen, die Spartaco besorgt hatte.
Die Saints Bay. fasste gerade mal die beiden Männer und ihre Gerätschaft, doch mehr war für die knapp fünfzehn Kilometer zwischen Guernsey und Brecqhou auch nicht nötig.
Ihre Chancen, zumindest bis vor die Küste von Brecqhou zu kommen, standen gut, waren sie doch beide geübte Segler.
Spartaco hatte das Segeln im Meer vor Ostia geübt, Alexander hatte es von seinem Vater gelernt, während ihrer Ferien am Vierwaldstätter See. Eine Erinnerung, die ihm genauso weit weg erschien wie der Vater, den er einmal gehabt hatte.
Spartaco, der auf offener See erfahrener war, hielt die Steuerstange und beobachtete den Kompass in der kardanischen Aufhängung. Bei Tageslicht hätte er nach Sicht navigieren können, aber eine Stunde vor Mitternacht war das Meer aus Wasser von einem Meer aus Dunkelheit umschlungen. Auf den Inseln änderte das Wetter sich schnell. Wo am Tag eine strahlende Sonne am Himmel gestanden hatte, zogen jetzt große Wolkenbänke mit dem Wind nach Westen.
Alexander kauerte vorn im Boot und hielt durch ein bi-okulares Nachtsichtgerät, ein französisches Modell vom Typ Sopelem LISP, Ausschau. Wo immer Spartaco den handlichen Restlichtverstärker aufgetrieben hatte, er war eine höchst dankenswerte Erwerbung. Zwar war das durch die Wolkendecke dringende Licht der Gestirne nur schwach, aber dem Mikrokanalverstärker des LISP reichte es aus. Er zauberte ein fremdartig verzerrtes Bild des Meeres auf den phosphoreszierenden Bildschirm, verwandelte die dunklen Wellen in weiß leuchtende Schlangen, die im finsteren Nichts einen exotischen Tanz aufführten. Alexander beachtete das unwirkliche Schlangengewimmel nicht. Für ihn zählten nur feste Objekte, die unveränderlich aus dem Meer ragten. Felsen. Ein leistungsstarker Scheinwerfer wäre hilfreicher gewesen, aber auch verräterisch.
Der Seegang war stärker als am Tag, und das leichte Boot tanzte nur so auf den Wellen. Mit ihrem kurzen Kiel war die Saints Bay bei jedem Absturz in ein Wellental nahe daran, sich zu überschlagen. Die Brecher warfen sich über das Boot und die Männer darin, die von Glück sagen konnten, dass sie Neoprenanzüge trugen. Alexander hatte keine Angst vor dem Kentern. Er und Spartaco hatten sich selbst ebenso festgezurrt wie ihr Gepäck. Außerdem trugen sie Rettungswesten. Sollte das Boot kippen, würde es sich dank der schaumgefüllten Flotationskammern sofort wieder aufrichten. Neben der Leichtigkeit des Gefährts der Hauptgrund, weshalb er sich für die Saints Bay entschieden hatte.
Eine riesige, weiß schillernde Masse schob sich auf seinen Bildschirm. Es sah aus wie ein Berg aus zerfließendem Kalk: Sark, das noch mit Brecqhou verschmolzen war.
Er rief die Nachricht seinem Begleiter zu, der sie mit einem knappen Nicken bestätigte. Dicht am Wind segelte Spartaco auf die Inseln zu.
Ein Motorboot hatten sie nicht gewollt, weil der Lärm sie verraten hätte und weil das Gewicht angesichts der unzähligen Boues ein zu großes Risiko bedeutet hätte. Je leichter das Boot, desto geringer die Gefahr, dass der Rumpf aufgeschlitzt wurde.
Der Wind frischte auf und vertrieb die Wolken. Mond und Sterne beleuchteten die Inselmasse, die jetzt mit bloßem Auge zu erkennen war. Alexander wusste nicht, ob er froh darüber sein sollte. Die Boues waren so leichter zu entdecken – aber die Saints Bay und ihre Insassen auch.
Als Brecqhou ihnen die Sicht auf Sark fast gänzlich versperrte, holten sie die Segel ein und paddelten mit Muskelkraft gegen die Meeresströmung an. Mit den Segeln wären sie weithin sichtbar gewesen und zudem nicht wendig genug, um das Boot zwischen den Boues hindurchzulavieren, die ihren Kurs bald in stattlicher Zahl säumten. Mehrmals vernahmen sie ein tiefes, beunruhigendes Schrammen, doch der Aluminiumrumpf der Saints Bay hielt den Felsen stand.
Sie steuerten das
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