Der Engelspapst
Alexander. «Erzkatholische Länder, eine naiv-gläubige Bevölkerung und korrupte Regierungen. Was wünscht eine geheime katholische Bruderschaft sich mehr? Aber was macht der Orden auf den Bahamas, in Gibraltar und auf den Kanalinseln?»
«Was viele große Organisationen und sogar Regierungen dort tun: Steuern sparen. Totus Tuus mit seiner stark weltlichen Ausprägung ist an etlichen Unternehmen beteiligt. Man könnte guten Gewissens von einem Finanzimperium sprechen. Und diese drei Steueroasen sind bei dem Orden besonders beliebt.»
«Zugegeben eine recht große Auswahl an Orten, wo man Elena versteckt halten könnte», meldete Solbelli sich zu Wort.
«Sie könnte natürlich auch weiterhin in Rom oder sonstwo in Italien festgehalten werden, aber das entspräche nicht dem Stil von Totus Tuus. Niedere Ordensmitglieder werden ihrer Umgebung entfremdet, um sie ganz in den Bann zu ziehen.»
«Dann sollten wir auch Südamerika ausschließen, Signorina Vidas Heimat», schlug Donati vor.
Solbelli grunzte unwillig. «Südamerika ist groß. Totus Tuus hat nicht nur in Brasilien Stützpunkte.»
Alexanders Zeigefinger stieß erneut auf die Karte hinab, auf die kleine Gruppe von Inseln, die der französischen Küste vorgelagert waren. «Sie ist hier!»
«Warum ausgerechnet auf den Kanalinseln?», fragte Solbelli.
«Weil Ihr Vater damals angeblich über dem Ärmelkanal abgestürzt ist?»
«Mein Vater ist fast jedes Jahr ein paar Tage mit mir in Urlaub gefahren. Zuvor oder anschließend ist er jedes Mal auf die Kanalinseln geflogen – um sich zu entspannen, wie er sagte.
Mich hat er nie mitgenommen, obwohl ich ihn oft darum gebeten habe. Inzwischen glaube ich nicht mehr, dass er dort Ferien gemacht hat.»
«Signor Rosin könnte Recht haben», sagte Donati und sah Solbelli an. «Denken Sie nur an Brecqhou.»
«Breckwas?», fragte Alexander.
«Brecqhou.» Donati zog einen Kugelschreiber aus der Innentasche seines Jacketts und zeigte mit der Spitze auf einen winzigen Punkt in der Inselgruppe. «Das hier ist Sark, mit einer maximalen Ausdehnung von fünf Kilometern Länge und zwei Kilometern Breite der kleinste unabhängige Staat unter dem Schutz der britischen Krone. Obwohl die Kanalinseln dicht vor Frankreich liegen, werden sie außen- und verteidigungspolitisch von Großbritannien vertreten. Innenpolitisch sind sie unabhängig, zählen nicht einmal zur Europäischen Union.»
«Der Kelch ist an ihnen vorübergegangen», seufzte Solbelli.
«Diese Unabhängigkeit ermöglicht eine Steuergesetzgebung, die jede Menge Banken, Konzerne und Milliardäre anlockt», fuhr Donati fort. «Eine Einkommensteuer von maximal fünfundzwanzig Prozent, keine Umsatzsteuer und andere Nettigkeiten. Sark ist noch einmal ein Sonderfall. Die Insel wird, fast wie im Mittelalter, von einem Feudalherrn regiert, dem Seigneur. Dort herrscht ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, das auf die Zeit der Normannen zurückgeht. Brecqhou liegt vor Sarks Westküste und ist mit seinen fünfundsechzig Hektar zu klein, um auf der Karte eingezeichnet zu sein.»
«Kaum größer als der Vatikan», bemerkte der Privatgelehrte.
«Und nicht weniger geheimnisumwittert.»
Donati steckte den Kugelschreiber wieder ein. «Bruder Solbelli hat Recht. 1993 wurde Brecqhou für eineinhalb Millionen Pfund Sterling in Privathand verkauft. Strohmänner eines internationalen Finanzkonsortiums haben das Eiland erworben und unter strengster Geheimhaltung ausbauen lassen.
Niemand darf die Insel ohne Genehmigung betreten, niemand weiß, was dort vor sich geht. Und jetzt raten Sie mal, wer in diesem Finanzkonsortium seine Finger hat?»
«Totus Tuus», sagte Alexander, ohne zu raten. «Was ist denn gebaut worden?»
«Ein Schloss», antwortete Donati. «Ein riesiges Schloss im gotischen Stil.»
Solbelli fügte hinzu: «Eher eine Festung. Mit Zinnen, Türmen und Wehrgängen – wie aus einem Ritterroman.»
«Wozu?», fragte Alexander.
«Das wüssten viele gern», sagte Donati. «Aber man kommt eher in Fort Knox hinein als in dieses Schloss. Sonst gibt es nicht viel zu sehen auf Brecqhou, nur ein paar Wirtschaftsgebäude und einen Hubschrauberlandeplatz.»
Nach kurzem Überlegen sagte Alexander: «Wenn ich Sie beide richtig verstanden habe, ist dieses Brecqhou ein rechtsfreier Raum.»
«Rechts- und steuerfrei», nickte Solbelli. «Die Kanalinseln sind ein rechtlicher Sonderfall, Sark ist der Sonderfall eines Sonderfalls, und Brecqhou … Wie soll ich es sagen?»
«Wer auf
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