Der Engelspapst
hat Godse und seine Komplizen zwar nicht vor dem Strick bewahrt, aber eben auch Gandhi nicht vor den tödlichen Kugeln. Die Große Seele, die durch ihre Lehre und ihr Beispiel den uralten Kreislauf von Hass und Gewalt durchbrechen wollte, wurde gerade dadurch zur Bedrohung – zum Tyrannen – in den Augen derer, die auf Hass und Gewalt setzten.»
Das dritte Dia zeigte ein Chaos aus Explosionen und Rauch.
Ein Mann im hellen Hemd floh vor dem Inferno, direkt auf die Betrachter am – Am Hintergrund, halb vom Rauch verhüllt, standen Luftabwehrraketen auf ihren Rampen. Dazwischen sah man einen Mann mit angelegtem Sturmgewehr.
«Wer kennt diese Szene?», fragte Donati.
Ohne zu überlegen, antwortete Alexander: «Das Attentat auf Anwar as-Sadat, Kairo, am zehnten Oktober 1981.»
«Sechster Oktober», berichtigte Utz.
«Korrekt», lächelte Donati. «Wer weiß etwas über die Attentäter?»
Diesmal antwortete Utz wie aus der Pistole geschossen.
«Ägyptische Soldaten. Sie hatten sich in die Militärparade eingeschmuggelt, die Präsident Sadat zur Feier der Kanalüberquerung von 1973 abhielt. Sie sind von ihrem Armeewagen gesprungen, haben Handgranaten geworfen und das Feuer eröffnet.»
«Gut», lobte Donati. «Motiv?»
«1973 war Sadat für die Ägypter noch ein Kriegsheld gewesen und hatte sie im Jom-Kippur-Krieg über den Suezkanal geführt», fuhr Utz fort. «Und dann wurde aus dem Falken eine Taube; er reiste sogar nach Jerusalem, um dort Golda Meir und Moshe Dayan zu umarmen. Das passte den unversöhnlichen Judenfeinden in Ägypten nicht. Mit dem Friedensabkommen von Camp David hatte Sadat sein Todesurteil unterschrieben.»
«Sehr treffend formuliert», sagte Donati und zeigte weitere Dias von Ermordeten: John F. Kennedy, Martin Luther King, Jizchak Rabin. «Sie alle haben sich für Frieden und Verständigung eingesetzt und sind damit für jene, die Hass und Gewalt predigen, zur Bedrohung, zu Tyrannen geworden.»
Er schaltete den Diaprojektor aus, das Licht wieder ein und schrieb die Namen an die Tafel: Lincoln, Gandhi, Kennedy, King, Sadat, Rabin. Und darüber schrieb er Wer Frieden sät …
«Männer wie diese sechs schweben in der größten vorstellbaren Gefahr. Die Feinde des Friedens sind von Natur aus gefährlich. Wenn sie sich aber in die Enge gedrängt fühlen, wenn aus Verblendung blinder Hass wird, ist mit dem Undenkbaren zu rechnen. Aus diesem Grund ist auch der Heilige Vater ständig vom Tod bedroht. Das Attentat, das Ali Agca auf Johannes Paul II. verübte, hat das eindrucksvoll demonstriert. Ihr Job, meine Herren, ist an Undankbarkeit kaum zu überbieten. Ihr Chef ist ein Friedenstyrann auf Lebenszeit.
Niemand mag von mehr Menschen geliebt werden, aber niemand wird auch von mehr Menschen gehasst. Daran sollten Sie in jedem Augenblick Ihres Dienstes denken, ganz egal, wie eintönig Ihnen das tägliche Einerlei aus Wacheschieben, Auskunfterteilen und Posieren für Touristenkameras erscheinen mag. Die Bombe geht gerade dann hoch, wenn man am wenigsten damit rechnet. – Ich weiß, wovon ich spreche.»
Bei den letzten Worten hatte er die Hände in die Hosentaschen geschoben; Alexander glaubte bemerkt zu haben, dass sie zitterten.
Utz meldete sich zu Wort: «Wenn das vehemente Eintreten für den Frieden wirklich so gefährlich ist, müsste Jesus Christus so attentatsgefährdet gewesen sein wie all die anderen zusammen.»
«Ganz recht.» Als Donatis Blick sich auf Utz richtete, schien es, als kehrte er von einer langen Reise zurück. «Wir wissen verdammt wenig über den historischen Jesus, nicht wahr? Gut möglich, dass man häufiger versucht hat, ihn auf gewaltsame Weise aus dem Weg zu räumen. Wenn Sie es genau betrachten, werden Sie feststellen, dass der Verrat von Judas Iskariot nichts anderes war als ein Attentat, nur eins der ganz perfiden Art. Statt mit der blanken Klinge zuzustoßen, hat Judas sein Opfer geküsst. Er hat nicht selbst den Dolch gezückt, sondern die Drecksarbeit den von ihm herbeigeholten Schergen überlassen.»
Der Commissario drehte sich zur Tafel um und schrieb in großen, fetten Buchstaben unter die sechs Namen JESUS.
Mäder brummte: «Würde Jesus heute leben, käme er bestimmt nicht mit einem Kuss davon.»
Donati hatte ihn gehört und fuhr herum: «Gewiss nicht. Ohne Sie kränken zu wollen, meine Herren, aber die ganze Schweizergarde könnte ihn nicht beschützen. Würde der Messias zurückkehren, wäre er aufs höchste gefährdet. Er wäre für Millionen
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