Der Engelspapst
Messagero. Außerdem bin ich beim Pressesaal des Heiligen Stuhls akkreditiert.»
«Sie haben Ihren Spruch aufgesagt, jetzt können Sie gehen!», brummte Utz.
Elena beachtete ihn nicht. Ihr Blick heftete sich auf Alexander.
«Bitte, reden Sie mit mir! Ich weiß, dass etwas nicht in Ordnung ist. Was genau ist vorletzte Nacht in der Waffenkammer vorgefallen?»
«Sie war auch am Sant’Anna-Tor und hat versucht, die Kameraden auszuquetschen», erklärte Utz. «Sie hat sich nach dir erkundigt, Alex.»
Alexander sah Elena an. «Ist das wahr? Sie haben gewusst, wer ich bin?»
«Ja, aber ich …»
«Gehen Sie jetzt bitte!», unterbrach er sie. «Die Cola übernehme ich. Manch einer hat für seine Beschränktheit ein höheres Lehrgeld hinblättern müssen.»
Er fühlte sich gekränkt. Die heitere Seifenblase, in der er für kurze Zeit geschwebt und seine Sorgen vergessen hatte, war jäh zerplatzt. Unbeschwertheit hatte sich in Lüge und Misstrauen verwandelt.
Im Gehen wandte Elena sich noch einmal um. «Alexander, ich meine es gut mit Ihnen.»
«Natürlich», antwortete er kalt. «Jedenfalls so lange, wie es Ihre Auflage hebt. Buona sera!»
Als sie allein waren, sagte Utz: «Da bin ich gerade noch rechtzeitig gekommen. Die Kleine dachte wohl, sie kann dich mit ihren Katzenaugen und ihrem Knackarsch um den Finger wickeln.»
«Fast wäre es ihr gelungen», sagte Alexander leise.
«Kein Wunder, das Biest sieht verdammt gut aus.» Utz grinste verschwörerisch. «Trinken wir was?»
«Betrinken wäre mir lieber.»
«Das ist der beste Vorschlag, den ich heute gehört habe.» Utz wandte sich zur Theke um und bestellte eine Karaffe vom roten Hauswein.
Ein scharfer Abendwind pfiff um die alte Kirche in den Albaner Bergen. Das Blattwerk der Bäume raschelte unablässig im Auf-und Abschwellen einer geisterhaften Melodie. Oder war es das Rauschen seines eigenen Blutes, das er hörte, weil er die Hände gegen seine Ohren presste? Mit geschlossenen Augen, die Ellbogen auf die fleckige Platte des einfachen Holztisches gestützt, saß der einstige Monsignore da und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Einmal schreckte er hoch, weil er glaubte, das Brummen eines Motors gehört zu haben. Die weit heruntergebrannte Kerze auf dem Tisch, um die sich ein Kranz zerschmolzenen Wachses gebildet hatte, entriss nur einen Teil der Wohnküche dem Dunkel. Als der Geistliche zum Fenster ging, stolperte er über eine Kiste mit Äpfeln. Er drückte die Nase gegen das fleckige Fensterglas, aber draußen war nichts zu sehen. Kein Scheinwerferlicht, kein Strahl einer Taschenlampe.
Nur die Schatten der Nacht, die im diffusen Mondlicht verschwammen. Wahrscheinlich war es kein Automotor gewesen, sondern nur der heftige Wind, der durch die Kronen der alten Eichen und Steinlinden fuhr.
Seine Unruhe war nur zu erklärlich. Zwei Abende zuvor hatte Heinrich Rosin ihn besucht, und jetzt war der Oberst tot. Der Geistliche zweifelte nicht daran, dass es einen Zusammenhang gab zwischen dem Mord und der mysteriösen Kassette, die der Oberst ihm zur Aufbewahrung gegeben hatte. Die Offiziellen im Vatikan mochten noch so viel von der Kurzschlusshandlung eines überforderten Gardisten faseln, der Pater erkannte die Handschrift des Ordens. Die Angehörigen jener unheilvollen Vereinigung, der er selbst einmal angehört hatte, waren noch nie zimperlich gewesen, wenn es darum ging, ihre Interessen zu wahren. Er hatte aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen gezogen – so wie jetzt Heinrich Rosin.
Abrupt wandte er sich um und starrte auf das gelbe Licht der Kerze. Was sollte er tun? Erst heute hatte er aus der Zeitung von Rosins Tod erfahren. Was auch immer der Gardekommandant gegen den Orden unternommen hatte, jetzt lag alles in den Händen des Paters. Und eine Entscheidung konnte er nur treffen, wenn er wusste, was Rosin ihm anvertraut hatte.
Er ging in seine spartanisch eingerichtete Schlafkammer, zog die Kassette unter dem rostigen Bettgestell hervor und trug sie zurück in die Küche, wo er sie auf den Tisch stellte. Dann knöpfte er seine zerschlissene Soutane auf und zog den Schlüssel aus einer Innentasche. Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns steckte er ihn ins Schloss.
Ein Buch lag in der Kassette, ein verblüffend altes Buch. Es war jahrhundertealt, das sah er sofort. Die altertümliche Handschrift war in Deutsch abgefasst. Er beherrschte diese Sprache recht gut, konnte sie aber besser sprechen als lesen.
Doch er hatte Zeit.
Geheimer Bericht
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