Der Engelspapst
setzte sich auf den Schreibtisch und starrte Alexander an. «Sie haben mir das Leben gerettet, Signor Rosin.
Wieso haben Sie so schnell geschaltet?»
«Die beiden Killer saßen schon in dem Transporter, als wir ankamen. Zwei Stunden sind ein bisschen viel für ein zweites Frühstück. Und gerade im dicksten Regen auszusteigen und mit der Arbeit zu beginnen ist so unitalienisch wie nur irgendetwas.
Außerdem ist mir aufgefallen, dass sie vor dem Aussteigen den Motor angelassen hatten.»
«Sie haben Recht, das hätte ich auch bemerken müssen. Autos sind gefährlich!»
«Autos?»
Donati nickte. «Früher waren es Kutschen. Solange ein potenzielles Attentatsopfer sich zu Hause aufhält, vielleicht sogar unter Bewachung, kann es sich relativ sicher fühlen. Aber auf der Straße ist alles möglich. Heinrich IV. saß in einer offenen Kutsche, als Ravaillac auf ihn einstach. Johannes Paul II. fuhr im offenen Wagen durch die jubelnde Menge und bot Ali Agca ein herrliches Ziel. Heydrich hat es im Auto erwischt und auch den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand.
Und natürlich John F. Kennedy. Noch gefährlicher als die Fahrt im Wagen ist allerdings das Ein- und Aussteigen.»
«Wieso?»
«Unordnung und Ablenkung. Zwei Faktoren, die Attentätern sehr gelegen kommen. Leibwächter müssen sich neu formieren, wenn die Schutzperson in den Wagen steigt oder herauskommt.
Man streckt eine helfende Hand aus und achtet nicht auf die Umgebung. Das Opfer selbst ist ebenfalls abgelenkt. Im September 1975 schoss in San Francisco ein Attentäter auf den amerikanischen Präsidenten Gerald Ford, als der gerade in eine Limousine steigen wollte. Im März 1981 traf es in Washington Präsident Reagan, als er auf dem Weg von einem Hotel zum wartenden Wagen war. Wir können Bunker und gepanzerte Limousinen bauen, auch der Papst hat sein kugelsicheres Papamobil, aber der Weg von oder zu einem Wagen bleibt höchst gefährlich.»
Eine rothaarige junge Polizistin im zerknitterten Kostüm trat ein und berichtete, der blaue Kleintransporter sei der im Aventin ansässigen Reinigungsfirma an diesem Morgen gestohlen worden.
Als sie das Büro wieder verlassen hatte, fragte Donati: «Wie deutlich haben Sie die Killer gesehen, Signor Rosin?»
«Nicht sonderlich gut. Es ging alles sehr schnell, und dann der Regen. Ich habe vor allem auf die Waffen geachtet.»
«Geht mir ähnlich. Lassen Sie uns trotzdem versuchen, ob unser Botticelli etwas damit anfangen kann. Kommen Sie!»
Donati führte ihn ein Stockwerk tiefer in einen mit Computertechnik voll gestellten Raum. Alexander blieb unklar, ob der Spitzname «Botticelli» dem Computer galt oder dem Mann mit der hellen Künstlermähne, der mit Hilfe modernster Software Phantombilder erstellte. Routiniert steuerte er die Maus, um die Gesichter auf dem blauen Monitor nach den Angaben von Alexander und Donati zu verändern. Nasen und Ohren wuchsen und schrumpften, Haare wucherten und verschwanden in Sekundenbruchteilen. Zum Schluss hatten sie zwei Bilder von einer Genauigkeit, die Alexander verblüffte.
Beide Männer waren zwischen fünfundzwanzig und dreißig, beide bartlos. Der Verletzte hatte ein rundes Gesicht und ein fliehendes Kinn, der andere kantige Gesichtszüge und ein vorspringendes, tief eingekerbtes Kinn.
«Sieht ein bisschen aus wie Kirk Douglas», meinte der Mann am Computer.
Die Abgleichung der Phantombilder mit den polizeieigenen Speichern sowie denen von Europol, Interpol und FBI brachte kein positives Ergebnis. Oder wie Donati es ausdrückte: «Die beiden sind offenbar unbeschriebene Blätter. Da kann man nichts machen.»
Als sie den Computerraum verlassen hatten, drehte er sich zu Alexander um. «Signor Rosin, Sie haben mich etwas gefragt, bevor die Killer uns unterbrachen.»
«Ja, wegen meines Onkels. Aber vielleicht ist jetzt nicht der rechte Zeitpunkt, um …»
«Wieso nicht? Ihr Onkel musste sterben. Wir haben es weit gehend unbeschadet überstanden. Worüber sollten wir uns also beklagen?»
Er zündete sich einen Zigarillo an, Alexander lehnte ab. «Sie sprachen von der offiziellen Version. Was ist Ihre private Ansicht?»
«Ich habe keine Theorie, nur Zweifel.»
«Weshalb?»
Alexander erzählte, dass Daneggers Kleider trotz des starken nächtlichen Regens knochentrocken gewesen waren. Und er berichtete von dem Einbruch in die Waffenkammer, obwohl von Gunten befohlen hatte, den Vorfall geheim zu halten. Er vertraute Donati. Irgendjemandem musste er sich
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