Der Engelspapst
anvertrauen.
Der Commissario stieß zwei, drei dichte Rauchwolken aus.
«Ich an Ihrer Stelle hätte auch Zweifel, Signor Rosin.»
«Ja, aber wer und was steckt dahinter, wenn Danegger es nicht getan hat?»
«Solange der wahre Schuldige sich nicht zu erkennen gibt, können Sie ihm nur über das Motiv näher kommen. Sie haben mich gefragt, ob Ihr Onkel aus ähnlichen Gründen ermordet worden sein könnte wie die Männer, über die wir im Unterricht gesprochen haben. Warum?»
«Weil ich mich frage, ob der Anschlag meinem Onkel als Person gegolten hat oder vielmehr seiner Stellung und damit mittelbar auch dem Papst.»
«Eine sehr gute Überlegung.»
«Aber was sollte der Mord an meinem Onkel bewirken?», fragte Alexander zweifelnd.
«Schwer zu sagen bei den wenigen Anhaltspunkten. Vielleicht war es eine Warnung.»
«Eine Warnung? An wen?»
«An den Papst. Eine eindringlichere Warnung kann man sich doch kaum vorstellen: Wir haben den Kommandanten deiner Leibgarde umgebracht und genauso können wir dich jederzeit umbringen.»
«Wenn das so wäre, was will der wahre Mörder mit seiner Warnung dann erreichen?»
«Finden Sie es heraus und Sie haben ihn.»
Während er im Scampolo auf Utz Rasser wartete, dachte Alexander über seinen Besuch beim Papst und sein Gespräch mit Donati nach. Wenn der Mord an seinem Onkel tatsächlich eine Warnung für Papst Custos darstellte, dann war es wahrscheinlich, dass der Heilige Vater etwas wusste oder ahnte.
Warum hatte er Alexander zu sich kommen lassen? Um ihn zu warnen oder um herauszubekommen, ob er im Bilde war?
Das Scampolo war ein schummriges Lokal mitten im Borgo Pio, im «frommen Dorf». Das urwüchsige Viertel direkt gegenüber dem Sant’Anna-Tor hatte allen Abriss- und Modernisierungsversuchen widerstanden. Selbst Mussolini hatte es nicht beseitigen können, als er ganze Straßenzüge niederwalzen ließ, um Platz für die Via della Conciliazione zu schaffen. Zahlreiche Lokale drängten sich in der alten Pilgersiedlung aneinander. In einigen aßen Mitarbeiter des Vatikans, andere waren zu Touristenfallen mutiert. Das Scampolo hatte seinen ursprünglichen Charme bewahrt. Der Wirt zählte mehr auf treue Stammkundschaft als auf durch Handzettel und Lockvögel herbeigeschaffte Touristenströme.
Alexander, der an einem im Halbschatten liegenden Ecktisch saß, nippte lustlos an seinem Grappa, sah zur Tür und dann auf die Uhr. Gleich halb neun, und um acht hatte Utz kommen wollen. Von Gunten hatte ihn gebeten, das verschwundene Waffenbuch aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren, so gut es eben möglich war. Es konnte nur Flickwerk sein, und auch das nur für die letzten Wochen, aber Utz wollte es trotzdem versuchen. Anscheinend hielt ihn die Arbeit länger auf, als er geglaubt hatte.
Nach seiner Rückkehr in den Vatikan war Alexander zu von Gunten beordert und über den Anschlag auf der Piazza Farnese befragt worden.
Der Oberstleutnant hatte sich erleichtert darüber gezeigt, dass Alexanders Name in den Medien nicht gefallen war: «Nach dem Mord an Oberst Rosin hat die Garde schon genug zwielichtige Schlagzeilen gemacht.»
Im Fernseher über dem Tresen lief ein Bericht über den heutigen Anschlag. Zum Glück waren Donati und die Gardisten schon fort gewesen, als das Kamerateam eintraf. Ausführlich wurden die beiden zerschossenen Wagen gezeigt, zersplitterte Scheiben, zerfetzte Armaturen, durchlöcherte Polster. Der kahlköpfige Waffenspezialist hatte Recht gehabt: Es grenzte an ein Wunder, dass sie mit heiler Haut davongekommen waren.
Der Moderator im Studio berichtete, dass die Täter noch immer flüchtig seien und dass es keine näheren Hinweise auf ihre Identität gebe. Es werde aber angenommen, dass es sich um einen Racheakt der Mailänder Mafia gegen Commissario Donati handele.
Der folgende Filmbeitrag rollte die Ereignisse auf, die sich acht Jahre zuvor in Mailand zugetragen hatten. Ein Foto zeigte Stelvio Donati und seine Familie bei einem Straßenfest. Donati sah zwanzig Jahre jünger aus, sein Haar war dunkel, die Haut straff, seine Augen leuchteten. Selbst die jetzt so schmalen Lippen wirkten voller, lebendiger. Seine Frau war hübsch, ein wenig üppig, mit kurzen blonden Locken. Der Sohn schien nach ihr zu kommen, die kleine Tochter nach dem Papa.
Das nächste Foto zeigte die Zerstörung. Man sah nur das ausgebrannte Wrack eines Autos, aber das genügte, um einen Eindruck der schrecklichen Explosion zu bekommen. Es war nach einem Sonntagsausflug
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