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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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die letzten Päpste hatten keinen Gouverneur mehr ernannt und die Leitung der verwaltungstechnischen und wirtschaftlichen Dienste im Vatikan einer Kommission von Beamten anvertraut.
    Alexander blieb stehen und betrachtete das überdimensionale Wappen, das verschiedenfarbige Blumen auf dem Abhang vor dem Palast bildeten. Die vatikanischen Gärtner, die gleichfalls dem Governatorat unterstanden, wechselten die Blumen im Jahresverlauf regelmäßig aus, sodass innerhalb der grünen Bordüre immer blühende Pflanzen wuchsen. Unter dem Vatikanwappen mit Tiara, Kordel und den beiden Schlüsseln befand sich das persönliche Wappen des Papstes: In den blauen Grund von Leberblümchen war mit gelben Winterlingen eine Waage gezeichnet; auf der einen Waagschale lag ein Stein, auf der anderen stand eine brennende Kerze.
    Zum ersten Mal nahm er das neue Wappen, das Papst Custos sich ausgesucht hatte, bewusst wahr. Für einen Gardisten, der eines Tages in den Offiziersrang aufsteigen wollte, war der Besuch von theologischen Seminaren Pflicht. Alexander kramte aus seinem Gedächtnis, was er über religiöse Symbole und ihre Bedeutung gehört hatte.
    Blau galt als die am wenigsten materielle Farbe, als Medium der Wahrheit und Symbol der unbedingten Treue zur einmal erkannten Wahrheit. Das Gelb der Waage war schon schwieriger zu deuten. Es konnte für die Sonne stehen oder für Gold, das ewige Metall. Dann war es im Wappen die Farbe der Ewigkeit.
    Gelb war aber auch die Farbe der Missgunst und des Verrats, die Farbe des Judas, weshalb die verfolgten Juden früher gelbe Zeichen hatten tragen müssen. Aber diese negative Deutung passte nicht zu der Waage, die für Gerechtigkeit stand, für Klugheit und Maß. Die Kerze als Lichtsymbol stand für die Verflechtung von Geist und Materie. Wie das Wachs mit der Flamme verschmolz, so verschmolz die Materie mit dem Geist.
    Der Stein auf der anderen Waagschale jedoch gab Alexander Rätsel auf. Eine Waage mit drei Steinen galt als Symbol der Heiligen Dreifaltigkeit von Gottvater, Sohn und Heiligem Geist.
    Aber ein einzelner Stein? Dieses Zeichen war ebenso rätselhaft und geheimnisvoll wie der Träger des Wappens.
    Während er noch über die Bedeutung des einzelnen Steins nachsann, umrundete er den Gouverneurspalast. Das Magazzino economato, in dem Daneggers Freundin arbeitete, befand sich im Souterrain, und der Eingang lag an der Rückseite des Gebäudes mit Blick auf das Äthiopische Kolleg. Neben der Annona, dem vatikanischen Supermarkt, bildete das Magazin, wie die Gardisten es der Einfachheit halber nannten, die zweite große und günstige Einkaufsmöglichkeit im Kirchenstaat. Hier gab es sämtliche Waren steuerfrei zu kaufen.
    Alexander war als Schweizergardist nicht nur im Vatikan beschäftigt, was für eine Einkaufserlaubnis ausgereicht hätte, sondern für die Dauer seiner Dienstzeit auch Bürger des Vatikanstaats. Er zückte den Einkaufsausweis, den die Direktion der ökonomischen Dienste im Gouverneurspalast ausgestellt hatte, und der Gendarm am Eingang sah sich den Ausweis genau an, bevor er ihn durchließ. Immer wieder versuchten Leute, mit gefälschten oder abgelaufenen Ausweisen mehr als die erlaubte Menge in den vatikanischen Läden einzukaufen, um die günstig erworbenen Sachen mit beachtlichem Gewinn in Rom weiterzuveräußern.
    Das Warenangebot im Magazin reichte von Kleidung für Männer, Frauen und Kinder über Schuhe und Lederwaren bis hin zu Tabakwaren und alkoholischen Getränken. Utz hatte etwas von Klamotten gesagt, also steuerte Alexander die Bekleidungsabteilung für Herren an. Im Gegensatz zu anderen Geschäften gab es im Magazin weder aufdringliche Werbeplakate noch jene akustische Berieselung, die angeblich zum Kaufen animierte. Umso mehr fiel das Trällern seines Handys auf. Alexander zog sich vor neugierigen Blicken in den engen Gang zwischen Jacketts und Oberhemden zurück und nahm den Anruf entgegen.
    «Elena Vida hier. Sie wollten mich sprechen.»
    «Das will ich immer noch, am besten heute.»
    «Warum plötzlich so eilig?»
    «Heute habe ich Zeit. Ich bin dienstfrei.»
    «Oh. Und einen konkreten Anlass gibt es nicht?»
    «Doch, es geht um Ihren Auftritt gestern bei der Pressekonferenz.»
    «Was ist damit?»
    «Wir sollten nicht am Telefon darüber reden.»
    «Das stimmt. Ich habe noch einen Termin in der Nähe der Piazza Navona. Danach bin ich frei. Treffen wir uns dort, sagen wir, in drei Stunden?»
    «Einverstanden. Und wo?»
    «Café di Colombia», sagte die

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