Der Engelspapst
Gefühl, dass dich noch mehr umtreibt. Vergiss nicht, dass wir uns schon ein paar Jährchen kennen. Gestern bei Daneggers Beerdigung bist du plötzlich weg wie ein geölter Blitz. Erst dachte ich, du hättest es einfach nicht länger ausgehalten. Aber dann bin ich draufgekommen: Du bist der kleinen Blonden nach, Daneggers Freundin, nicht? Und das bestimmt nicht, weil du scharf auf sie bist. Willst du dich quälen, indem du dir in allen Einzelheiten von ihr erzählen lässt, wie wütend Danegger auf den Oberst war?»
«Ich weiß nicht, was sie mir sagen kann. Ich habe sie nicht getroffen.»
Auch Alexander trank von dem Wein, der irgendwie schal schmeckte. Aber das lag wohl kaum an dem Getränk.
«Was denkst du denn, was du von ihr zu hören bekommst, wenn du sie triffst?»
Alexander hob die Schultern und ließ sie langsam wieder sinken. «Antworten.»
«Antworten, die dir noch mehr wehtun werden.»
«Mag sein, aber vielleicht helfen sie mir trotzdem, zur Ruhe zu kommen.»
«Die Antworten dieser Frau werden banal sein und dich enttäuschen. Was soll sie dir sagen? Bei Danegger hat es ausgesetzt, er hat durchgedreht. Und leider hatte er eine geladene SIG zur Hand. Das ist die ganze Geschichte.»
Das eben bezweifelte Alexander, aber das sagte er nicht. Der Freund hätte ihn für verrückt erklärt und gesagt, er solle sich hüten, aus vagen Überlegungen etwas zu konstruieren, das man gut und gern eine Verschwörungstheorie nennen konnte. Noch hatte er nichts in der Hand, folglich brachte es nichts, darüber zu reden, auch nicht mit Utz. Erst musste er den wenigen Spuren nachgehen, die er sah.
Utz leerte sein Glas und grinste den Freund an. «Wir nutzen den dienstfreien Rest des Tages und machen Rom unsicher, okay? Das wird dich aus deinen trüben Gedanken reißen.»
«Ein Kerl wie du kann Rom allein unsicher machen, Utz.»
«Und du?»
«Ich brauche Zeit für mich.»
«Von der ewigen Grübelei kriegst du noch graue Haare», maulte Utz.
Alexander wollte nicht grübeln, er wollte endlich etwas unternehmen. Seit dem Doppelmord an Heinrich und Juliette war er sich wie eine Schachfigur vorgekommen, von der Hand eines unbekannten Spielers nach dessen geheimer Strategie hin und her geschoben. Mochte der Unbekannte auch weiterhin seine Züge tun, er, Alexander, würde von nun an seine eigene Strategie verfolgen und nur noch scheinbar der dumme Bauer sein, der geopfert wurde. Oder wie Funakoshi es ausgedrückt hatte: Das Nachgeben hat nur Sinn, wenn die Kraft des Gegners regen ihn gewendet, wenn er durch seine eigene Kraft besiegt wird!
Wieder in seinem Zimmer, griff Alexander nach dem Handy und fragte die Auskunft nach der Nummer des Messagero. Dort stellte ihn eine geschäftsmäßig freundliche Frau zur Redaktion durch, wo sich eine nicht ganz so freundliche Männerstimme meldete: «Pronto.»
«Signorina Vida, per favore.»
«Warten Sie einen Moment.» Es klickte und ein alter Celentano-Song dröhnte durch die Leitung. Dann war wieder der Mann am Apparat: «Elena ist zurzeit nicht da. Soll ich etwas ausrichten?»
«Ja, ich möchte sie sprechen, am besten heute noch.»
Alexander hinterließ seinen Namen und seine Handynummer. Er streifte die Wildlederjacke über sein Baumwollhemd, steckte das Handy ein und verließ sein Zimmer. Bis Elena Vida sich meldete, würde er sich die blonde Raffaela vornehmen.
Der Himmel war nach wie vor verhangen, aber wenigstens regnete es nicht mehr. Es roch nach Frühling, wenn auch nach einem Frühling, der sich nicht recht hervorwagte.
Alexander ging auf der Via del Governatorato durch die Vatikanischen Gärten und berauschte sich am Anblick des üppigen Grüns und an der schweren feuchten Luft, die von Blütenduft erfüllt war. Die Gerüche erinnerten ihn an beinahe vergessene Jugendtage, an gemeinsam mit seinem Vater verbrachte Ferien. Wochen in freier Natur, die Markus und Alexander Rosin mit Fischen und Wandern, mit Bootspartien und Klettertouren ausgefüllt hatten. Nächte, in denen sie nebeneinander im Zelt gelegen hatten, einer dem Atem des anderen lauschend. Vater und Sohn nah beieinander und doch nie ganz zusammen. Und das würde auch nicht mehr kommen.
Bevor der Schmerz zu groß wurde, verdrängte der Anblick des Gouverneurspalastes Alexanders Erinnerungen. Das lang gestreckte Gebäude, vor dem zahlreiche Autos parkten, beherbergte die Verwaltung des Vatikanstaats. Es wäre auch Amtssitz des Staatsgouverneurs gewesen, hätte es einen solchen im Vatikan gegeben. Doch
Weitere Kostenlose Bücher