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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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kleine Knoten auslaufenden Lederstreifen, obgleich schon blutgetränkt, in das aufgerissene Fleisch.
    Der schwere Geruch von Blut und Schweiß verursachte Alexander Übelkeit, von dem Weihrauch musste er husten.
    Erschrocken hielt der Büßer inne und blickte über die Schulter.
    Giorgio Borghesi trug keine Brille und kniff die Augen zusammen, um den Störenfried zu erkennen. Es schien ihm nicht zu gelingen. Er reckte Hals und Kopf wie eine Giraffe in Alexanders Richtung.

    «Ich bin es, Pater, Alexander Rosin.»
    «Rosin!», stieß Borghesi überrascht hervor. «Was willst du hier?»
    «Auf Marcel Daneggers Beerdigung haben Sie mich eingeladen. Erinnern Sie sich?»
    Borghesi nickte langsam und ein Schweißtropfen löste sich von seinem Kinn. «Ja, aber ich wusste nicht, dass du heute kommen würdest.»
    «Und ich wusste nicht, dass ich Sie störe bei …»
    Alexander verstummte. Er fand kein Wort, das in seinen Ohren nicht grotesk geklungen hätte.
    «Bei meiner Demutsbezeugung? Für dich mag die Kasteiung ein ungewohnter Anblick sein, aber uns Dienern des Herrn hilft sie, unsere körperlichen Belange im Einklang mit den geistlichen Regeln zu halten. Je regelmäßiger man sie übt, desto besser. Es ist wie in der Welt draußen mit dem Krafttraining, dem Joggen oder dem Aerobic.»
    Ein Ton bemühter Heiterkeit – soweit Borghesi überhaupt so etwas wie Humor besaß – schlich sich in seine Stimme, als wollte er sein Tun herunterspielen. Es klang nach einer hastigen Ausflucht.
    Der Anblick des klapprigen alten Mannes, nackt und schwitzend, mit blutigem Rücken, aufgerissener Haut und rohem Fleisch in den Wunden, war für Alexander abstoßender, als ein aufgepumpter Bodybuilder oder eine dürre Aerobic-Ziege es je hätte sein können. Borghesis Selbstauspeitschung hatte etwas Obszönes. Konnte der Herr im Himmel wollen, dass ein Mensch sich für ihn in Fetzen schlug?
    Noch immer verspürte Alexander ein flaues Gefühl der Übelkeit. Er war froh, als der Pater sagte: «Warte bitte draußen auf mich!»
    Mit eiligen Schritten verließ er Kapelle und Kirche, lehnte sich rücklings an den Lancia und sog die frische Luft tief in seine Lungen. Noch immer stand das Bild des nackten Geistlichen vor seinen Augen. Er hatte da noch etwas gesehen: einen roten Striemen rund um Borghesis Hüften, ähnlich den Bußgürtelabdrücken bei seinem Onkel und Raffaela Sini.
    Lautes Vogelgezwitscher hatte sich zu dem Hämmern des Spechts gesellt. In den Wäldern rings um die Kirche tummelten sich Geschöpfe, die nicht von dem Zwang besessen waren, sich für eine Gottheit zu zerfleischen. Das grüne Seeufer erschien Alexander ungleich anziehender als das muffige Innere der Kirche. Wenn das, was den Menschen vom Tier unterschied, die Fähigkeit zu denken, nur Schmerz und Blutvergießen hervorbrachte, dann war sie keine Gnade, sondern vielmehr ein verhängnisvoller Irrtum.
    Pater Borghesi rief ihn. Der Geistliche stand in der Tür eines Anbaus, mit einer um seinen dürren Leib flatternden Soutane bekleidet und die dicke Brille auf der Nase. Als Alexander zu ihm kam, sagte er: «Ich habe uns etwas zu essen gemacht. Ich nehme an, du hast noch nicht gefrühstückt.»
    Alexander folgte dem Pater in eine große Küche, wo ein grob zusammengezimmerter Tisch mit Brot, Butter, Käse und einem Topf Pflaumenmus gedeckt war. Borghesi brachte noch zwei große Becher Milchkaffee. Die Wolken hatten sich etwas geöffnet und ein winziger Sonnenstrahl fiel durch die Fensterscheibe mit dem großen Sprung. Zu der religiösen Obsession, deren Zeuge Alexander geworden war stand die heimelige Atmosphäre des Frühstücks in einem so krassen Gegensatz, dass sie ihm wie ein Täuschungsmanöver erschien.
    Ihn beschlich das dumpfe Gefühl, dass der Geistliche, der hier so zurückgezogen lebte, einen bestimmten Grund für seine Geißelungen hatte. Eine schwere Verfehlung, für die er büßen wollte?
    Krampfhaft suchte Alexander nach Worten, um das Schweigen zu brechen: «Falls ich Sie erschreckt habe, Hochwürden, tut es mir Leid. Sie leben sehr einsam hier draußen.»
    «Wer Zwiesprache mit Gott hält, ist nicht einsam.»
    «Im Vatikan wird auch fleißig Zwiesprache mit Gott gehalten.
    Aber die Geistlichen dort führen doch ein etwas anderes Leben als Sie hier.»
    Borghesis Züge verhärteten sich. «Wo die Menschen, mögen sie sich auch Diener des Herrn nennen, sich gegenseitig auf die Füße treten, findet man schwer die Ruhe zur Zwiesprache mit dem

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