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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Linie, die sich am Ende in der Dunkelheit verlor.
    Was ihm als undurchdringlicher Wald erschienen war, erwies sich als ordentlich festgestampfter Weg, der sich in vielen Kehren den Berg hinaufwand. Man konnte nur wenige Ellen weit sehen, denn über dem Boden hing dichter Nebel, ein grauer Dunst, der alle Geräusche so vollständig zu schlucken schien, wie er die Sicht verdeckte. Bis auf die gedämpften Tritte von vierzig Füßen war es still im Forst. Kein Nachtvogel sang. Sogar der Wind hatte sich gelegt.
    In Simons Kopf rasten die Gedanken. Aber so schnell ihm auch ein neuer Fluchtplan nach dem anderen einfiel, er musste sie alle verwerfen. Gegen ihn und Miriamel stand eine gewaltige Übermacht, und sie befanden sich in völlig unbekanntem Gelände. Selbst wenn es ihnen gelang, sich von den Feuertänzern, die ihre Seile hielten, loszureißen, konnten sie ihre Arme nicht gebrauchen, um sich im Gleichgewicht zu halten oder einen Weg zu bahnen. Man würde sie sofort wieder einfangen.
    Er drehte sich nach der Prinzessin um, die hinter ihm herstapfte. Sie sah verfroren und unglücklich aus, als hätte sie sich erschöpft in ihr Schicksal ergeben. Wenigstens hatte man ihr den Mantel gelassen. In ihrem einzigen Anfall von Tatkraft hatte sie einen ihrer Wächter überredet, ihn wegen des kalten Nachtwinds behalten zu dürfen. Simon hatte nicht so viel Glück gehabt. Sein Mantel warweg, ebenso sein Schwert und das Qanucmesser. Man hatte ihre Pferde und Satteltaschen fortgeschafft. Nur die Kleider an seinem Leib waren ihm geblieben, das Leben und seine Seele.
    Und Miriamels Leben. Ich habe geschworen, es zu schützen. Diese Verantwortung trage ich immer noch.
    Es lag ein gewisser Trost darin. Solange er noch atmete, hatte er eine Aufgabe.
    Ein niedriger Ast schlug ihm ins Gesicht, und er spuckte nasse Tannennadeln. Vor ihm ging Maefwaru, ein kleiner, gespenstischer Schatten im Dunst, der sie immer weiter nach oben führte.
    Wohin gehen wir? Vielleicht wäre es besser, es nie zu erfahren.
    Sie stolperten weiter durch den grauen Nebel, wie verdammte Seelen auf ihrem Weg in die Unterwelt.
     
    Es kam ihm vor, als marschierten sie seit Stunden. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet, aber noch immer herrschte tiefes Schweigen ringsum, und die Luft war feucht und stickig. Und dann, schnell wie die vergehende Winterdämmerung, tauchten sie aus einem Baumdickicht auf und traten auf den Gipfel des Berges.
    Während sie im Schatten der bewaldeten Hänge gewandert waren, hatte sich eine dichte Wolkendecke über den Himmel gelegt und Mond und Sterne ausgelöscht. Das einzige Licht kam von ein paar Fackeln und den hüpfenden Flammen eines gewaltigen Feuers. Aus dem unebenen Boden der Anhöhe erhoben sich große, seltsame Gebilde, von flackerndem rotem Licht so umspielt, dass sie sich zu bewegen schienen, unruhig wie schlafende Riesen. Vielleicht waren sie einmal Bestandteile einer großen Mauer oder eines anderen Riesenbauwerks gewesen, nun aber lagen sie verstreut und als Trümmer da, erstickt unter einem verfilzten Teppich aus Gras und Schlingpflanzen.
    In der Mitte des breiten Gipfelplateaus hatte man einen Felsblock vom Pflanzenwuchs befreit, einen großen, hellen Findling, eckig wie der Kopf einer Axt. Er ragte zwei Mannslängen hoch aus der Erde.
    Zwischen dem großen Feuer und dem kahlen Felsen standen regungslos drei schwarzverhüllte Gestalten. Sie sahen aus, als warteten sie dort schon seit langer Zeit – vielleicht schon so lange wie dieSteine selbst. Als die Feuertänzer ihre Gefangenen auf den Mittelpunkt der Anhöhe zudrängten, wandte sich die dunkle Dreiheit fast gleichzeitig um.
    »Heil, Wolkenkinder!«, rief Maefwaru. »Heil den Ersterwählten des Meisters! Wir sind hier erschienen nach seinem Wunsch.«
    Die Schwarzgewandeten betrachteten ihn stumm.
    »Und wir haben sogar mehr mitgebracht, als wir versprachen«, fuhr Maefwaru fort. »Preis sei dem Gebieter!« Er winkte seinen Leuten zu, die Simon und Miriamel rasch vorwärtsschoben. Als sie sich jedoch dem Feuer und seinen schweigenden Wächtern näherten, wurde ihr Schritt langsamer, bis sie schließlich stehen blieben und sich ratlos nach ihrem Anführer umsahen.
    »Bindet sie dort an den Baum.« Maefwaru wies ungeduldig auf den vom Wind zerfetzten Leichnam einer Tanne, die etwa zwanzig Schritte vom Feuer entfernt stand. »Schnell, es ist fast Mitternacht!«
    Simon stöhnte vor Schmerz, als einer seiner Bewacher ihm die Hände auf den Rücken riss, um sie am Baum

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