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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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das sein? Gift? Oder nur ein neues, unverständliches Ritual der Unsterblichen?
    Als die orangerote Wolke den Berg hinabschwebte, schien die Schlacht, die unter ihr tobte, aufzubranden und zu wogen, aber niemand fiel. Wenn es sich um Gift handelt, dachte der Graf, dann von einer heimtückischeren Sorte, als ich sie kenne. Er spürte ein Brennen in Hals und Nüstern. Keuchend rang er nach Luft. Kurz glaubte er zu ersticken. Gleich darauf konnte er wieder atmen. Dann stürzte über ihm der Himmel ein. Die Schatten wurden länger, der Schnee schien in Flammen aufzugehen.
    Eine Furcht erfüllte ihn, die aufblühte wie eine große, schwarze, eiskalte Blume. Ringsum schrien Männer, und auch er schrie. Die Nornen, die jetzt aus der zerstörten Ruine von Naglimund strömten, waren Dämonen, wie sie nicht einmal die Priester je geträumt hatten. Der Graf und seine Männer wandten sich zur Flucht, aber hinter ihnen standen die Sithi, erbarmungslos und goldäugig und ebenso entsetzlich wie ihre leichenweißen Vettern.
    In der Falle! , dachte Eolair, der in seiner Panik keinen anderen Gedanken mehr fassen konnte. In der Falle! In der Falle! In der Falle!
    Etwas packte ihn, und er schlug zu, kratzte mit den Fingernägeln, um sich von dem Ungeheuer zu befreien, einem Scheusal mit einem Gesicht voll gelber Fühler und einem kreischenden Maul. Er schwang das Schwert, um es zu töten, aber jemand stieß ihn in den Rücken, und er fiel seitlich ins kalte Weiß, während das grausige Wesen ihn noch immer umklammert hielt und mit seinen Klauen nach seinen Armen und seinem Gesicht hackte. Kopfüber wurde er in den eisigen Schnee gedrückt und konnte sich, obwohl er zappelte und strampelte, nicht befreien.
    Was geht hier eigentlich vor? , dachte er plötzlich. Gewiss, es gab an diesem Ort Ungeheuer, Riesen und Nornen, aber doch nicht so nah? Und die Sithi – warum hatten sie so grausig ausgesehen, warum war er so sicher gewesen, dass sie ihn und die anderen Hernystiri einschließen und dann vernichten wollten? Die Sithi sind doch nicht unsere Feinde?
    Das Gewicht auf seinem Rücken wurde leichter. Er rutschte zur Seite und setzte sich auf. Es gab kein Ungeheuer. Neben ihm im Schnee kauerte Isorn und ließ den Kopf hängen wie ein krankes Kalb. Obwohl der Wahnsinn der Schlacht noch immer um ihn tobte und seine Männer aufeinander einschlugen, als wären sie tollwütige Hunde, fühlte Eolair, wie seine Todesangst nachließ. Er betastete sein eiskaltes Gesicht, streckte dann den Handschuh aus und blickte auf den orangegefärbten Schnee.
    »Der Schnee hat es abgewaschen! Isorn! Es ist Gift, das sie auf uns geblasen haben! Der Schnee wäscht es ab.«
    Isorn würgte und nickte matt. »Bei mir auch.« Er rang nach Luft und spuckte aus. »Ich wollte … Euch töten.«
    »Schnell!« Eolair raffte sich mühsam auf. »Wir müssen versuchen, auch die anderen davon zu befreien. Kommt!« Er scharrte eine Handvoll Schnee zusammen, wischte die dünne, orangerote Staubschicht davon ab und stolperte auf das nächste Häuflein kreischender, raufender Männer zu. Sie bluteten alle, die meisten allerdings nur aus geringfügigen, durch Fingernägel und Zähne verursachten Wunden. Das Gift hatte sie zwar rasend vor Wut, gleichzeitig aberunbeholfen gemacht. Eolair rieb sauberen Schnee in jedes Gesicht, das er erreichen konnte.
    Nachdem es Isorn und ihm gelungen war, die ersten Männer halbwegs wieder zu Verstand zu bringen, schickten sie auch die Geretteten los, anderen zu helfen. Ein Mann stand nicht auf. Er hatte beide Augen verloren und verblutete. Ringsum färbte sich der Boden rot. Eolair zog dem Mann seinen Mantel über das zerstörte Gesicht und bückte sich, um an einer anderen Stelle neuen Schnee aufzusammeln.
    Der giftige Staub schien die Sithi weit weniger schwer getroffen zu haben als Eolair und die Seinen. Einige der Unsterblichen, die der Mauer besonders nah gewesen waren, machten zwar einen benommenen Eindruck, aber keiner zeigte die hemmungslose Tollwut, die die Hernystiri befallen hatte. Dennoch bot der Hang einen schrecklichen Anblick.
    Likimeya und ein paar andere Sithi waren von einer Abteilung zu Fuß kämpfender Nornen umringt. Obwohl Jirikis Mutter und ihre Gefährten beritten waren und von oben her tödliche Hiebe führen konnten, wurden sie einer nach dem anderen von Wellen weißer Hände, die wogten wie auf einem grausigen Ozean, herabgezerrt.
    Yizashi Grauspeer stand einem brüllenden Riesen gegenüber, der bereits in jeder Hand den

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