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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Pferderücken. Jetzt erst merkte er, dass er auf Heimfinder saß. Das Wiedersehen mit seinem Pferd verblüffte Simon derart, dass er einfach zu denken aufhörte. Qantaqa sprang mit Binabik auf dem Rücken an ihm vorbei und trabte geschwind den Berg hinunter. Simon klammerte sich an Heimfinders Hals, rammte ihr die Fersen in die Flanke und folgte dem wehenden Wolfsschwanz, hinein in die Äste, die ihn nicht freigeben wollten, hinab in die dunklen Schatten.
     
    Die Nacht war zu einer Art Wachtraum geworden, zu einer verschwommenen Reihe verkrüppelter Bäume im feuchten Nebel. Als Binabik endlich anhielt, hätte Simon nicht sagen können, wie lange sie geritten waren. Noch immer befanden sie sich auf der Bergflanke, aber in dichterem Wald, sodass man nicht einmal den bewölkten Himmel sehen konnte. Die Finsternis war so undurchdringlich, dass sie seit einiger Zeit nur noch im Schritt reiten konnten. Miriamel und Simon mussten sich anstrengen, um Qantaqas graue Gestalt nicht aus den Augen zu verlieren, obwohl die Wölfin nur ein paar Ellen vorauslief.
    »Hier«, erklärte Binabik jetzt leise. »Hier ist eine Zuflucht.«
    Simon stieg ab und folgte dem Klang seiner Stimme, Heimfinder am Zügel.
    »Haltet eure Köpfe unten«, warnte der Troll. Seine Worte erzeugten ein Echo.
    Der feuchte, schwammige Boden wich einer trockeneren, festeren Unterlage. Die Luft war stickig.
    »Nun bleibt stehen, wo ihr seid.« Binabik verstummte. Nur ein leises Rascheln war zu hören. Lange Augenblicke vergingen. Simonstand da und horchte auf sein eigenes schweres Atmen. Noch immer hämmerte sein Herz, und seine Haut war feucht von kaltem Schweiß. Waren sie wirklich in Sicherheit? Und Binabik! Woher kam er? Wie hatte er so unerwartet, so sehr zu ihrem Glück, hier sein können?
    Es zischte und flackerte, dann blühte an der Spitze einer Fackel, die der Troll in der kleinen Hand hielt, eine Flamme auf. Das Licht erhellte eine lange, niedrige Höhle, deren hinteres Ende man nicht sehen konnte, weil eine Krümmung des Felsens es verbarg.
    »Tiefer hinein müssen wir«, erklärte Binabik. »Aber unsicher wäre das Wandern darin ohne Licht.«
    »Was ist das für ein Ort?«, fragte Miriamel. Beim Anblick ihrer blutigen Beine und der blassen, verängstigten Züge krampfte sich Simons Herz zusammen.
    »Nur eine Höhle.« Binabik lächelte, das willkommene und vertraute, gelbe Zähnefletschen. »Ein Troll findet immer eine Höhle.« Er winkte ihnen, ihm zu folgen. »Bald dürft ihr ruhen.«
    Die Pferde sträubten sich zunächst, ließen sich aber schnell beruhigen und weiterführen. Die Höhle war voll trockener Äste und Blätter. Hier und da schimmerten die Knochen kleiner Tiere weiß aus dieser Streu hervor. Nach ein paar Hundert Schritten hatten sie das Ende der Höhle erreicht, eine Grotte, die etwas höher und wesentlich breiter war als der Eingangstunnel. An einer Wand rann ein breiter Strom Wasser über einen flachen Stein und füllte einen kleinen Teich. Simon band Miriamels Pferd und Heimfinder daneben an einen Felsvorsprung.
    »Hier wollen wir den Rest der Nacht verbringen«, sagte Binabik. »Das Holz, das ich hingelegt habe, ist trocken, und der Rauch, der von ihm aufsteigt, wird nicht stark sein.« Er wies auf eine dunkle Spalte in der Decke. »Ich habe gestern Abend auch ein Feuer entzündet. Der Rauch wird dort hinaufgetragen. Die Luft wird gut sein.«
    Simon sank auf den Boden. Die trockenen Zweige unter ihm knackten. »Und wie sieht es mit den Nornen aus – und den anderen?« Eigentlich war ihm jetzt alles gleichgültig. Wenn sie ihn haben wollten, sollten sie ihn holen. Jeder Zoll seines Körpers tat ihm weh.
    »Zweifeln möchte ich, dass sie diesen Platz finden werden, aber noch mehr zweifle ich, dass ihre Suche lang sein wird.«
    Der Troll machte sich daran, in dem Steinring, den er am Abend zuvor gelegt hatte, Holz auf die alte Asche zu schichten.
    »Diese Nornen waren mit einer wichtigen Aufgabe beschäftigt, und wie es schien, brauchten sie euch nur eures Blutes wegen. Ich denke, die Menschen, die dort zurückgeblieben sind, besitzen genügend Blut, um das Werk zu vollenden.«
    »Aber was haben sie vor, Binabik?« Miriamels Augen glänzten fiebrig. »Was war es, wovon sie immer redeten – ›das Dritte Haus‹? Und wer war dieses … dieses Wesen?«
    »Jenes Geschöpf des Grauens war einer der Roten Hand«, erklärte Binabik, und der sorgenvolle Ausdruck seines Gesichts strafte den nüchternen Tonfall Lügen. »Nie habe ich

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