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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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damit es aussah, als sei sie noch gebunden.
    Immer näher kamen die Nornen. Ihr anmutiger Gang und die wehenden Gewänder ließen es fast so aussehen, als schwebten sie über den holprigen Boden. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, die Augen schwarz wie die Löcher zwischen den Sternen. Sie umringten den Baum und packten Simons Arme mit kaltem, unentrinnbarem Griff. Einer von ihnen durchschnitt das Seil, das die Gefangenen am Baum gehalten hatte, dann zerrten sie Miriamel und Simon, die nur stolpernd gehen konnten, über den Gipfel und auf den düster aufragenden Stein und die Schreckensgestalt zu, die aus dem roten Nebel aufgetaucht war.
    Sein Herz raste, als er sich dem Stier und seinem Reiter näherte. Mit jedem Schritt schlug es schneller, bis er fürchtete, es werde ihm aus der Brust springen. Wie entsetzlich fremdartig waren die Nornen, die ihn hielten, feindselig und unversöhnlich – und doch war die Furcht, die sie ihm einflößten, ein Nichts, verglichen mit dem alles erstickenden Grauen, das von der Roten Hand des Sturmkönigs ausging.
    Die Nornen schleuderten ihn zu Boden. Die Hufe des Stiers, jeder einzelne breit wie ein Fass, waren nur wenige Ellen entfernt. Er wollte sie nicht ansehen, das Gesicht nur in den schützenden Pflanzenwuchs pressen, aber etwas zog seinen Kopf erbarmungslos nach oben, bis er in die Tiefen der schwarzen Kapuze starrte. Dort schimmerte etwas wie eine Flamme.
    »Wir sind gekommen, das Dritte Haus zu errichten«, sagte das Wesen, und seine steinerne Stimme rollte über Simon hin und durch sein Inneres und erschütterte die Erde und alle seine Knochen. »Was ist … das?«
    Maefwaru war so außer sich vor Angst und Erregung, dass seine Stimme sich überschlug. »Ich hatte einen Traum! Der Meister wollte diesen Jüngling haben, großer Veng’a Sutekh! Ich weiß es!«
    Etwas Unsichtbares packte Simons Kopf so jäh wie Falkenklauen ein Kaninchen. Er spürte, wie seine Gedanken durcheinandergerüttelt und mit roher Rücksichtslosigkeit umhergeschleudert wurden, bis er aufschreiend vor Schreck und Schmerz vornüber aufs Gesicht stürzte. Nur ganz von fern hörte er das Wesen weitersprechen.
    »Wir erinnern uns an diese kleine Fliege – aber wir brauchen sienicht mehr. Die Rote Hand hat jetzt andere Aufgaben … und um sie zu erfüllen, brauchen wir mehr Blut. Nehmt sein Leben zu dem der anderen auf dem Klagenden Stein.«
    Simon wälzte sich auf den Rücken und starrte in den bewölkten, sternlosen Himmel. Um ihn drehte sich alles.
    Wir brauchen ihn nicht mehr … Die Worte wirbelten in seinem Kopf herum wie wahnsinnig. Wir brauchen ihn nicht mehr…
     
    »Simon! Steh auf!«
    Vage erkannte er Miriamels schrille, entsetzte Stimme. Sein Kopf hing schlaff herunter. Jemand kam auf ihn zu, ein heller Fleck vor seinen trüben Augen. Einen schrecklichen Moment dachte er, es sei der große Stier, dann wurde sein Blick klarer. Es war Maefwaru, der sich ihm näherte, das Messer hoch erhoben. Es funkelte im zuckenden Schein des Feuers.
    »Die Rote Hand fordert dein Blut«, verkündete der Anführer der Feuertänzer. In seinen Augen stand nichts als Wahnsinn. »Du wirst deinen Beitrag leisten, das Dritte Haus zu errichten.«
    Mühsam versuchte Simon, sich aus den Schlingen des Grases zu befreien und auf die Knie zu kommen. Miriamel hatte ihre vorgetäuschten Fesseln abgestreift und warf sich Maefwaru entgegen. Einer der Nornen ergriff sie beim Arm und zog sie an seine schwarzverhüllte Brust, eng wie ein Liebhaber. Aber zu Simons Überraschung tat der Unsterbliche nichts weiter. Er hielt sie nur so fest, dass sie hilflos war. Die schwarzen Augen des Nornen waren aufmerksam auf Maefwaru gerichtet, der, ohne dem Mädchen auch nur einen Blick zu schenken, auf Simon zuschritt.
    Die ganze Welt schien den Atem anzuhalten. Selbst das Feuer flackerte langsamer. Die Rote Hand, die Nornen, Maefwarus ängstlich geduckte Anhänger – alle verhielten sich so still, als warteten sie auf etwas. Der untersetzte Anführer der Feuertänzer hob sein Messer noch höher.
    Wütend riss Simon an seinen Fesseln und spannte die Arme an, bis er das Gefühl hatte, die Muskeln müssten ihm von den Knochen springen. Miriamel hatte die Stricke erst zum Teil durchgetrennt.
    Wenn nur … wenn nur …
    Das Seil riss. Simons Arme schnellten vor. Die Schlingen glitten von seinen Gelenken und fielen zur Erde. Dort, wo der Scherben ihn geschnitten und der Strick ihn wundgescheuert hatte, tropfte Blut von Händen und

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