Der Engelsturm
Fingern.
»Komm doch!«, keuchte er und ballte die Fäuste. »Hol mich doch!«
Maefwaru lachte. Auf seiner Stirn und dem kahlen Schädel standen Schweißperlen. Die dicken Muskeln an seinem Hals zuckten, als er aus seinem Gewand ein zweites Messer zog. Einen Augenblick glaubte Simon, der Feuertänzer wolle es ihm zuwerfen, um für einen gerechten Kampf zu sorgen, aber Maefwaru dachte gar nicht daran. In jeder Hand eine Klinge, tat er einen weiteren Schritt auf Simon zu. Er stolperte, fing sich wieder … noch einen Schritt.
Im selben Augenblick fuhr er auf und griff sich so hastig mit beiden Händen an den Hals, dass er sich mit seinen eigenen Messern verletzte. Seine rasende Freude wich einem Ausdruck der Verwirrung. Jäh versagten ihm die Beine, und er kippte vornüber ins Unterholz.
Bevor Simon überhaupt begriff, was vorging, flog ein Schatten an ihm vorbei und warf sich auf den Nornen, der Miriamel noch immer gepackt hielt. Der Weißhäutige wurde zu Boden geschleudert und ließ die Prinzessin los. Sie taumelte und fiel hin.
»Simon!«, schrie jemand. »Nimm das Messer!«
Benommen blickte Simon auf die lange Klinge, die noch immer in Maefwarus Faust glänzte. Er kniete nieder – die Nachtluft war plötzlich voller merkwürdiger Geräusche, Knurren und Schreien und einem merkwürdig grollenden Summen –, riss das Messer aus dem Todesgriff des Feuertänzers und stand auf.
Der Norne, der Miriamel festgehalten hatte, wälzte sich mit etwas Grauem, Fauchendem am Boden. Seine beiden Begleiter eilten ihm zu Hilfe. Die Prinzessin war davongekrochen, als sie Simon sah, richtete sie sich auf und lief auf ihn zu, wobei sie über Schlingpflanzen und unter Blättern verborgene Steine stolperte.
»Hierher!«, kam ein Zuruf vom Rand der Lichtung. »Hier entlang!« Als Miriamel bei ihm war, packte Simon sie bei der Hand und rannte auf die Stimme zu. Zwei Feuertänzer stellten sich ihnen entgegen,aber Simon stach mit Maefwarus Messer zu und riss ihm eine rote Wunde ins weiße Gewand. Miriamel entkam dem anderen, indem sie ihm das erschrockene Gesicht zerkratzte, bis er sie losließ. Dazwischen wurde das grollende Aufbrüllen des Wesens auf dem Stier immer lauter. Simon begriff, dass es sprach, aber er konnte die Worte nicht mehr verstehen. Sein Kopf drohte zu platzen.
»Hier drüben!« Aus den Bäumen am Rand des Gipfelplateaus war eine kleine Gestalt getreten. Das lodernde Feuer tauchte sie in flammendrotes Licht.
»Binabik!«
»Lauft!«, rief der Troll. »Mit Schnelligkeit!«
Simon konnte nicht anders, er musste sich noch einmal umsehen. Vor dem Opferstein schnaubte der riesige Bulle und scharrte tiefe Furchen in die feuchte Erde.
Inelukis Diener saß glühend auf seinem Rücken. Aus den schwarzen Gewändern glomm roter Schein. Das Wesen unternahm keinen Versuch, Simon und Miriamel aufzuhalten, als widerstrebe es ihm, den Kreis zu verlassen, in dessen Innerem der Boden mit Blut getränkt war. Einer der Nornen lag mit zerrissener, blutiger Kehle auf der Erde, ein zweiter daneben, das Opfer eines der vergifteten Dornen des Trolls. Der dritte Schwarzgekleidete kämpfte mit dem Angreifer, der seinem Gefährten den Hals zerfleischt hatte. Inzwischen jedoch begannen die Feuertänzer allmählich zu sich zu kommen, und ein halbes Dutzend von Maefwarus Anhängern traf Anstalten, die Gefangenen zu verfolgen. Ein Pfeil sauste an Simons Ohr vorbei und verschwand zwischen den Bäumen.
»Dort hinunter!« Binabik hüpfte behende vor ihnen her. Er machte Simon und Miriamel ein Zeichen, weiterzulaufen, blieb stehen und hob die Hände an den Mund. »Qantaqa! Qantaqa sosa!«
Während sie querfeldein und mitten durch die Bäume den Hang hinabrannten, wurde das verworrene Geschrei hinter ihnen allmählich leiser. Ein knappes Dutzend Schritte weiter ragten im Dunst plötzlich die Umrisse zweier Pferde auf.
»Lockerlich sind sie angebunden!«, rief der Troll ihnen zu. »Erklettert sie und reitet!«
»Komm, Binabik, reite mit mir!«, keuchte Simon.
»Das ist nicht nötig.«
Simon blickte auf und sah einen großen, grauen Schatten auf den nebligen Felsvorsprung oberhalb von Binabik treten.
»Tapfere Qantaqa!«, rief der Troll, packte die Wölfin am Nackenfell und schwang sich auf ihren Rücken.
Der Lärm der Verfolger wurde wieder lauter. Simon fingerte ungeschickt an den Zügeln herum und bekam sie endlich frei. Neben ihm zog sich Miriamel mühsam am Sattelknauf hinauf. Mit einiger Anstrengung erklomm auch Simon den
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