Der Engelsturm
waren ihm immer so unbestimmt und wenig hilfreich vorgekommen wie die Prophezeiungen eines Wahrsagers vom Jahrmarkt –, aber Binabiks sichtliches Unbehagen erschreckte ihn nun doch.
Bevor er jedoch den Troll drängen konnte, ihm mehr zu erzählen, kam Miriamel ans Feuer zurück und setzte sich zu ihnen. »Ich gehe nicht zurück«, verkündete sie ohne Einleitung.
Binabik und Simon schauten sie überrascht an.
»Ich verstehe den Sinn Eurer Worte nicht, Prinzessin«, sagte der Troll.
»O doch, das tust du. Und bitte nennt mich nicht mehr ›Prinzessin‹ und ›Ihr‹. Binabik hat mir gestern das Leben gerettet, Simon ist mein Reisekamerad. Ich betrachte euch als meine Freunde. Wollt ihr meine Bitte erfüllen?«
Die beiden nickten stumm. Miriamel fuhr fort: »Trotzdem weiß ich, dass mein Onkel dich geschickt hat, Binabik, um mich zurückzuholen. Und ich erkläre dir hiermit, dass ich nicht gehe.«
Ihr Gesicht war so hart und entschlossen, wie Simon es selten gesehen hatte. Er verstand jetzt ihren Ärger, aber auch er war aufgebracht. Warum war sie immer so starrsinnig, so schnell gekränkt? Es sah fast aus, als genieße sie es, mit ihren Worten andere Menschen vor den Kopf zu stoßen.
Binabik spreizte die Handflächen. »Ich könnte dich zu nichts zwingen, das nicht dein eigener Wunsch wäre, Miriamel. Noch würde ich es versuchen.« Seine braunen Augen waren voller Mitgefühl. »Aber es stimmt, dass dein Onkel und viele andere sich deinetwegen sorgen. Sie fürchten für deine Sicherheit und zerbrechen sich den Kopf über deine Pläne. Ich möchte dich bitten, umzukehren … aber dazu zwingen will und kann ich dich nicht.«
Miriamel wirkte ein wenig erleichtert, schob aber noch immer trotzig das Kinn vor. »Es tut mir leid, Binabik, dass du umsonst eine so weite Reise gemacht hast, aber ich kann nicht umkehren. Ich habe eine Aufgabe.«
»Sie will ihrem Vater sagen, dass sein ganzer Krieg ein Missverständnis ist«, knurrte Simon mürrisch.
Miriamel warf ihm einen angewiderten Blick zu. »Das ist nichtder Grund, Simon. Ich habe dir erklärt, warum.« Zögernd erläuterte sie Binabik ihre Vermutungen, wie Elias unter den Einfluss des Sturmkönigs geraten sein konnte.
Als sie geendet hatte, dachte der Troll eine Weile nach und nickte dann. »Ich denke, du hast vielleicht wirklich seinen Fehler entdeckt. Deine Annahme deckt sich stark mit meinem eigenen Verdacht. Aber das bedeutet noch keine Wahrscheinlichkeit für dich, Erfolg zu haben.« Er zog die Stirn in Falten. »Wenn dein Vater in die Gewalt des Sturmkönigs gekommen ist – ob durch Pryrates’ Listigkeit oder auf andere Weise –, so ist er nun vielleicht wie ein Mann, der zu viel Kangkang trinkt. Man kann ihm zwar sagen, dass seine Familie verhungert und seine Schafe davonlaufen, aber vielleicht hört er es gar nicht.« Er legte die Hand auf Miriamels Arm. Sie zuckte zusammen, rückte aber nicht fort. »Außerdem – und es fällt meinem Herzen schwer, das auszusprechen – ist die Wahrheit vielleicht, dass dein Vater, der König, ohne den Sturmkönig nicht mehr leben kann. Das Schwert Leid ist ein Ding von großer Macht. Vielleicht würde dein Vater in Wahnsinn verfallen, wenn man es ihm nimmt.«
Miriamel stiegen die Tränen in die Augen, aber ihr grimmiger Ausdruck änderte sich nicht. »Ich will nicht versuchen, ihm das Schwert wegzunehmen, Binabik. Ich möchte ihm nur sagen, dass er zu weit gegangen ist. Mein Vater – mein wirklicher Vater – hätte nie gewollt, dass aus seiner Liebe zu meiner Mutter so viel Unheil entstünde. Alles, was seitdem geschehen ist, muss die Schuld anderer sein.«
Wieder spreizte Binabik die Hände, diesmal als Ausdruck der Resignation. »Ja – wenn du tatsächlich die wahren Gründe für seinen Wahnsinn gefunden hast, die Gründe für den Krieg und für seinen Pakt mit dem Sturmkönig. Und wenn er auf dich hört. Doch wie gesagt, ich kann dich an dieser Reise nicht hindern. Ich kann nur mitkommen und versuchen, euch vor Schaden zu schützen.«
»Du willst uns begleiten?« Simon war merkwürdig erleichtert bei dem Gedanken, dass ein anderer die Last, die er als immer drückender empfunden hatte, mit ihm teilen wollte.
Der Troll nickte. Sein Lächeln war längst verschwunden. »Es sei denn, du wolltest mit mir zu Josua zurückkehren, Simon. Das könnte ein Grund sein, die Reise nicht fortzusetzen.«
»Nein, ich muss bei Miriamel bleiben. Ich habe es bei meinem Wort als Ritter geschworen.«
»Obwohl ich dich
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