Der Engelsturm
oder gut ist. Aber ich kann euch nicht so gehen lassen, wenn ich eurem Überleben vielleicht hilfreich bin.« Nachdenklich legte er die Stirn in Falten. »Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, den anderen eine Botschaft zu senden.«
Simon dachte an die Trolle in Josuas Lager und vor allem an Sisqi, Binabiks Liebste, die er zurücklassen musste, als er ihnen gefolgt war. Die Größe des Opfers, das der kleine Mann ihnen brachte, traf ihn tief, und auf einmal schämte er sich. Binabik hatte recht, er und Miriamel benahmen sich wie ungezogene Kinder. Doch ein einziger Blick auf die Prinzessin genügte, ihm sofort wieder klarzumachen, dass man ihr ihren Plan so wenig ausreden konnte, wie man die Wellen des Meeres daran hindern kann, den Strand hinaufzurauschen – und er konnte sich nicht vorstellen, dass er es über sich bringen würde, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Er saß in der Falle, genau wie Binabik. Seufzend griff er nach den zusammengerollten Decken.
Entweder war Binabik ein guter Führer oder die Feuertänzer hatten die Suche nach ihnen tatsächlich aufgegeben. Außer ein paar Hähern und einem einzigen schwarzen Eichhörnchen begegnete ihnen auf ihrem nachmittäglichen Weg durch die feuchten, dichtbewaldeten Berge des Hasutals kein lebendes Wesen. Der Wald bestand aus engstehenden Bäumen und wucherndem Unterholz, und jeder Stamm war von schwammigem Moos bedeckt. Dennoch wirkte das Land sonderbar leblos, als liege alles, was hier zu Hause war, in tiefem Schlaf oder warte stumm darauf, dass die Eindringlinge sich entfernten.
Eine Stunde nach Sonnenuntergang schlugen sie unter einem überhängenden Felsen ihr Lager auf, eine Unterkunft, die weit weniger angenehm war als die trockene und gut verborgene Höhle. Als es anfing zu regnen und das Wasser den Hang hinunterströmte, mussten sie sich so weit wie möglich an die hintere Wand drücken. Die Pferde, die auch keinen besonders glücklichen Eindruck machten, waren weiter vorn angepflockt, wo sie immer wieder von Regengüssen gepeitscht wurden. Simon wusste, dass Pferde oft bei schlechtem Wetter draußen auf den Feldern standen, und hoffte, dass sie nicht allzu sehr litten, aber er spürte ein unbestimmtes Schuldgefühl. Bestimmt verdiente doch Heimfinder, das Pferd eines Ritters, eine bessere Behandlung?
Nachdem sie gejagt hatte, kam Qantaqa zurück und kuschelte sich an die drei eng nebeneinanderliegenden Gefährten. Ihre Wärme versöhnte sie mit dem starken Geruch nach nassem Wolf, der den ganzen Unterstand erfüllte. So schliefen sie endlich ein und erwachten im Morgengrauen steif und mit schmerzenden Gliedern. Binabik wollte an einer so leicht einsehbaren Stelle kein Feuer anzünden, darum aßen sie nur ein Stückchen getrocknetes Fleisch und ein paar Beeren, die der Troll für sie gesammelt hatte. Dann brachen sie auf.
Vor ihnen lag ein Reisetag voller Schwierigkeiten. Die schlammigen Berghänge und Mulden waren glitschig vom feuchten Moos. Der Wind peitschte ihnen den Regen in plötzlichen Böen entgegen, sodass sie durchnässt wurden. Äste schlugen ihnen ins Gesicht. Als der Regen nachließ, stieg wieder Nebel auf und verdeckte gefährliche Schlaglöcher. Sie kamen nur mit quälender Langsamkeit voran. Simon war beeindruckt, dass sein Trollfreund hier überhaupt einen Weg fand, obwohl doch die Sonne unsichtbar und die Straße weit entfernt und nicht auszumachen war.
Am frühen Nachmittag führte sie Binabik über einen Berghang, an dessen Fuß die Ausläufer der eigentlichen Stadt Hasutal lagen. Durch die dichten Bäume konnte man kaum mehr erkennen als die Umrisse einiger einfacher Häuser und, wenn ein jäher Windstoß den Nebel einen Augenblick beiseitefegte, den gewundenen Lauf der Straße, einen dunklen Streifen, ein paar Achtelmeilen vor ihnen. Die Stadt machte den gleichen niedergeschlagenen und leblosenEindruck wie der Wald. Aus den Rauchfängen der Hütten stieg nur ein wenig grauer Dunst auf. Ansonsten deutete nichts auf die Anwesenheit von Menschen oder Tieren hin.
»Wo nur die Leute alle sind?«, überlegte Miriamel. »Ich kannte diesen Ort, es war ein munteres Städtchen.«
»Das sind diese Feuertänzer«, antwortete Simon grimmig. »Sie haben die anderen verscheucht.«
»Vielleicht ist es ja auch die Art, wie sie nachts auf den Gipfeln ihre Feierlichkeiten abgehalten haben«, meinte Binabik. »Unnötig ist es, denke ich, alles zu sehen, wie ihr es getan habt, um zu wissen, dass etwas Ungutes daran ist. Es liegt in
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