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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Könige«, brach Simon das Schweigen. Nun, da der Augenblick gekommen war, war er auf einmal ganz verwirrt. Das Herz flatterte ihm zwischen den Rippen, und das Sprechen fiel ihm plötzlich schwer. Er wandte sich um und schaute auf den letzten Hügel. Er war höher als die anderen, und das Gras hatte erst einen kleinen Teil der aufgehäuften Steine überwachsen. Er ähnelte dem Gehäuse eines riesigen Meerestiers, an Land geworfen von den Brechern einer urzeitlichen Sturmflut.
    »König Johan der Priester«, sagte Simon.
    »Mein Großvater.«
    Miriamels Stimme klang so eigentümlich, dass Simon sich erschrocken umdrehte. Die Prinzessin sah aus wie von Geistern verfolgt. Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen, die Augen blickten hohl und ängstlich.
    »Ich kann das nicht mitansehen«, erklärte sie. »Ich werde dort drüben warten.« Sie schritt auf die Rückseite von Fingils Grabhügel zu und verschwand dort, vermutlich, um sich hinzusetzen und nach Osten und über das Hügelland zu schauen, durch das sie gestern gekommen waren.
    »Dann also an die Arbeit«, sagte Binabik. »Freude wird sie mir nicht machen, aber du hast wahr gesprochen, Simon: Wir sind hier, und Torheit wäre es, das Schwert nicht an uns zu nehmen.«
    »Priester Johan würde es so wollen«, erwiderte Simon mit mehr Zuversicht, als er empfand. »Er würde wollen, dass wir unser Bestes tun, um sein Reich und sein Volk zu retten.«
    »Wer weiß, was die Toten wünschen?«, versetzte Binabik düster. »Komm, fangen wir an. Doch müssen wir auch noch einen Unterstand für uns bauen, bevor die Nacht kommt, und sei es nur, um das Licht unseres Feuers zu verbergen. Miriamel!«, rief er zu ihr hinüber. »Könntest du herausfinden, ob ein paar von den Büschen hier oben sich als Brennholz eignen?«
    Miriamel hob die Hand, um Zustimmung zu signalisieren.
    Simon beugte sich über Johans Hügel und begann an den Steinen zu rütteln. Der erste Stein saß so fest in der grasigen Erde, dass Simon den Stiefel gegen den Nachbarblock stemmen musste, um ihn zu lockern. Er richtete sich auf und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Das Kettenhemd war für diese Art Arbeit zu sperrig und unbequem. Er schnürte es auf und streifte es ab, ebenso das gepolsterte Unterwams. Die beiden Kleidungsstücke legte er neben dem Hügel ins Gras. Der schneidende Wind pfiff durch sein dünnes Hemd.
    »Durch halb Osten Ard sind wir gereist«, bemerkte Binabik und wühlte mit den Fingern in der Erde, »und niemand hat daran gedacht, eine Schaufel mitzunehmen.«
    »Ich habe mein Schwert.«
    »Heb es auf, bis es wirklich gebraucht wird.« Etwas von der sonstigen trockenen Redeweise des Trolls war zurückgekehrt. »Erde aufzukratzen hat eine abstumpfende Wirkung auf Klingen, habe ich vernommen. Vielleicht brauchen wir noch ein Schwert von einiger Schärfe. Vor allem, wenn uns jemand dabei erblickt, wie wir gerade das Grab des Hochkönigs plündern.«
    Simon schloss die Augen und sprach ein kurzes Gebet, mit dem er Ädons Vergebung – und vorsorglich auch die von Priester Johan – erbat.
     
    Die Sonne war untergegangen. Der graue Himmel färbte sich am westlichen Rand allmählich rosig, eine Farbe, die Simon eigentlich schön fand, die ihn jetzt aber an etwas erinnerte, das in Verwesung überging. Aus dem Loch in der Seite von Priester Johans grasumwehtem Hügel war der letzte Stein entfernt worden. Die schwarze Leere dahinter sah aus wie eine Wunde im Fleisch der Welt.
    Binabik war mit seinen Feuersteinen beschäftigt. Als er endlich einen Funken erzeugt hatte, steckte er eine Fackel an und schützte sie vor dem frischen Wind, bis sie richtig brannte. Simon hatte keine Lust, in die wartende Schwärze zu starren, und zog es vor, seinen Blick über das dunkle Grün des Gipfels schweifen zu lassen. In der Ferne bewegte sich Miriamels kleine Gestalt, bückte sich und reckte sich wieder, auf der Suche nach Holz für ihr Lagerfeuer. Am liebstenhätte Simon alles hingeworfen, sich umgedreht und den Rückweg angetreten. Er wünschte, diesen törichten Plan nie gefasst zu haben.
    Binabik schwenkte die Flamme in das Innere des Lochs, zog sie heraus und steckte dann noch einmal die Fackel hinein. Dann ließ er sich auf die Knie nieder und witterte vorsichtig.
    »Die Luft, so hat es den Anschein, ist in Ordnung.«
    Er stieß ein paar Erdklumpen vom Rand der Öffnung und schob vorsichtig den Kopf nach. »Ich kann eine hölzerne Seitenwand sehen. Ist es ein Boot?«
    »Die Seepfeil.« Das ganze

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