Der Engelsturm
Trost. Habt Ihr geglaubt, sie würde nach der langen Zeit noch einmal aufwachen?«
»Nein.« Die Herzogin runzelte die Stirn. »Aber das macht es nicht weniger traurig. Hoffentlich bin ich nicht diejenige, die es dem jungen Jeremias sagen muss, wenn er zurückkommt.« Ihre Stimme wurde leise. »Falls er zurückkommt.«
Vara sah die Ältere aufmerksam an. »Arme Gutrun. Es ist nicht allein Leleth, nicht wahr? Ihr fürchtet um Isgrimnur.«
»Mein alter Bär wird sich schon wieder heil einfinden«, murmelte Gutrun. »Das tut er immer.« Sie sah zu Vara auf, die noch vor dem offenen Fenster stand, den weiten, aschgrauen Himmel im Rücken. »Aber Ihr, die Ihr solche Angst um Josua hattet? Wo sind Eure Sorgen?« Sie schüttelte den Kopf. »Sankt Skendi bewahre uns, ich sollte nicht von so etwas reden. Wer weiß, was für Unglück es bringt.«
Vara lächelte. »Josua wird zu mir zurückkommen. Ich hatte einen Traum.«
»Was soll das heißen? Hat Euch Aditus Geschwätz den Kopf verdreht?«
»Nein.« Die Thrithingfrau sah auf ihr kleines Mädchen hinunter. Ihr dichtes Haar fiel hinunter wie ein Vorhang und versteckte für einen Augenblick die Gesichter von Mutter und Kind. »Aber es war ein Wahrtraum. Ich weiß es. Josua kam zu mir und sagte: ›Jetzt habe ich endlich, was ich mir immer gewünscht habe.‹ Er hatte Frieden gefunden. Darum weiß ich, dass er siegen und zu mir zurückkehren wird.«
Gutrun öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn wieder. Ihr Gesicht war angstvoll. Rasch, während Vara noch die kleine Derra betrachtete, schlug die Herzogin das Zeichen des Baumes.
Vara blickte fröstelnd auf. »Vielleicht habt Ihr doch recht, Gutrun. Es wird tatsächlich kalt. Ich werde die Fenster schließen.«
Die Herzogin erhob sich aus ihrem Sessel. »Lasst nur. Ich werde es tun. Nehmt Ihr die Kleinen und verschwindet unter Euren Decken.« Sie hielt plötzlich inne. »Barmherzige Elysia! Seht!«
Vara drehte sich um. »Was ist?«
»Es schneit.«
»Man könnte denken, wir wollten hier ein Heiligtum aufsuchen«, bemerkte Sangfugol, »mit lauter vollbesetzten Pilgerbooten.«
Tiamak, der Harfner und Strangyeard hockten dicht beieinander auf einem windigen, verschneiten Hang im Osten des Swertclifs. Unter ihnen tanzten Landungsboote mit Josuas Streitkräften über den unruhigen Kynslagh dem Ufer zu. Dort standen der Prinz und der militärische Arm seines Gefolges und überwachten das komplizierte Manöver.
»Wo bleibt nur Elias?«, fragte Sangfugol. »Bei Ädons Gebeinen, sein Bruder landet mit einem ganzen Heer auf seiner Türschwelle, und der König rührt sich nicht. Wo ist er überhaupt?«
Bei dem Fluch zuckte Strangyeard ganz leicht zusammen. »Ihr klingt, als wünschtet Ihr ihn herbei! Wir wissen doch, wo der Hochkönig steckt, Sangfugol.« Er deutete auf den Hochhorst, eine Gruppe spitzer Schatten, im wirbelnden Schnee kaum zu erkennen. »Er wartet. Wir wissen nur nicht, auf was.«
Tiamak kuschelte sich tiefer in seinen Mantel. Seine Knochen fühlten sich an wie Eis. Er verstand ja, dass der Prinz sie vielleicht momentan nicht gebrauchen konnte, aber sicher hätten sie doch eine Stelle finden können, wo sie nicht im Wege waren, ohne dem Wind und Schnee derartig ausgesetzt zu sein?
Wenigstens habe ich jetzt Trockenländerhosen. Aber ich will trotzdem meine Tage nicht in diesem kalten Land beschließen. Bitte, Götter, lasst mich mein Wran wiedersehen. Lasst mich noch einmal zum Windfest gehen. Lasst mich zu viel Farnbier trinken und Fang-die-Feder spielen. Ich möchte nicht hier sterben, begraben und vergessen.
Er schauderte und versuchte, die düsteren Gedanken abzuschütteln. »Hat der Prinz Kundschafter zur Burg geschickt?«
Sangfugol schüttelte den Kopf. Er freute sich, Bescheid zu wissen. »Nicht in die unmittelbare Nähe. Ich hörte, wie er zu Isgrimnur sagte, dass Heimlichtuerei sinnlos sei, weil uns der König schon seit Tagen gesehen und noch viel früher von uns gehört haben müsse. Nachdem er sich inzwischen davon überzeugt hat, dass es in Erchester keine von Elias versteckten Soldaten gibt – Soldaten! Als ob sich dort noch jemand aufhielte außer Hunden und Ratten! –, wird er Vorreiter aussenden, wenn das Heer vorrückt, um die Belagerung einzurichten.«
Während der Harfner fortfuhr, den anderen zu erklären, wie der Prinz seiner Meinung nach die Truppen aufstellen sollte, sah Tiamak jemanden durch den Schnee den Hügel hinaufstapfen.
»Seht!« Vater Strangyeard deutete
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