Der Engelsturm
sich Miriamel der Magen umdrehte. »Sagt uns, was Ihr damit meint.«
Das harte Gesicht des Mönchs war plötzlich alt und faltig. »Bei Ädons Barmherzigkeit! Alles, was Ihr über mich gedacht habt, Miriamel, ist wahr. Alles.« Eine Träne rollte ihm über die Wange. »Gott helfe mir – obwohl er keinen Grund dazu hat –, ich habe Abscheuliches getan …«
»Verflucht, Cadrach! Wollt Ihr nicht endlich zur Sache kommen?«
Als hätte dieser Ausbruch das Fass von Yis-fidris Leidensfähigkeit zum Überlaufen gebracht, stand der Unterirdische auf und entfernte sich hastig. Auf der anderen Seite der Höhle gesellte er sich zu seinen wispernden Gefährten.
Cadrach wischte sich mit dem schmutzigen Ärmel Augen und Nase. »Ich habe Euch erzählt, wie Pryrates mich fing«, begann er.
»Ja«, antwortete Miriamel kurz. Sie hatte Binabik und den anderen auf dem Sesuad’ra davon berichtet und sah keinen Anlass, die Geschichte zu wiederholen.
»Ich sagte Euch, dass ich die Buchhändler verriet und Pryrates, der mich tot glaubte, meinen Körper hinauswerfen ließ.«
Sie nickte.
»Das war nicht die Wahrheit – zumindest geschah es nicht bei dieser Gelegenheit.« Er holte tief Luft. »In Wirklichkeit beauftragte er mich, Morgenes und andere, die ich aus meiner Zeit als Träger der Schriftrolle kannte, für ihn auszuspionieren.«
»Und das tatet Ihr?«
»Wenn Ihr glaubt, ich hätte gezögert, Herrin, dann wisst Ihr nicht, wie inbrünstig ein Säufer und Feigling sich an sein Leben klammern kann – oder wie groß meine Angst vor Pryrates’ Zorn war. Denn seht Ihr, ich kannte ihn. Ich wusste, dass die Verletzungen, die er meinem Fleisch in seinem Turm zugefügt hatte, ein Nichts gegen das waren, wozu er imstande war, wenn er mich ernstlich quälen wollte.«
»Also habt Ihr für ihn spioniert? Bei Morgenes?«
Cadrach schüttelte den Kopf. »Ich habe es versucht – beim Baum, und wie ich es versuchte! Aber Morgenes war zu klug. Er wusste, dass ich mich in einer furchtbaren Notlage befand und der rote Priester uns beide von früher kannte. Er gab mir Essen und ein Nachtquartier, aber er blieb misstrauisch. Er sorgte dafür, dass weder in seiner Wohnung noch in seiner Unterhaltung etwas zu finden war, das für jemanden wie Pryrates von Nutzen sein konnte.« Cadrach schüttelte den Kopf. »Wenn überhaupt, führten meine Bemühungen nur dazu, Morgenes klarzumachen, dass ihm weniger Zeit blieb, als er gehofft hatte.«
»Das heißt, Euer Versuch schlug fehl?« Miriamel wusste noch nicht, worauf der Mönch hinauswollte, aber ihr Entsetzen und ihre Furcht wuchsen immer mehr.
»Ja. Und ich war fast von Sinnen vor Angst. Als ich zum Hjeldinturm zurückkam, wurde Pryrates sehr wütend. Aber er tötete mich nicht und fügte mir auch nicht noch Schlimmeres zu, wie ich befürchtet hatte. Stattdessen stellte er mir weitere Fragen über Du Svardenvyrd. Ich glaube, inzwischen war er bereits dem Sturmkönig begegnet und hatte sich in Verhandlungen mit ihm eingelassen.« Seine Miene wurde verächtlich. »Als ob ein Mensch mit einem solchen Wesen verhandeln könnte! Ich nehme an, Pryrates hat bis heute nicht wirklich begriffen, wem er damals die Tür öffnete.«
»Von dem, das Pryrates getan hat, wollen wir später sprechen«, warf Binabik ein. »Jetzt wolltet Ihr uns von dem erzählen, was Ihr getan habt.«
Der Mönch betrachtete ihn unfreundlich. »Das eine hängt enger mit dem anderen zusammen, als Ihr denkt«, meinte er. »Pryrates fragte mich nach vielen Dingen, aber für jemanden, der Du Svardenvyrd gelesen hatte – genauer gesagt, der Nisses’ Buch so genau kannte, dass die Erinnerung an seine Worte ihn noch heute täglich aufs Neue quält –, war es nicht schwer zu sehen, in welche Richtung seine Fragen zielten. Auf irgendeine Weise war der Sturmkönig mit ihm in Verbindung getreten, und nun wollte Pryrates unbedingt alles über die drei Großen Schwerter erfahren.«
»Also weiß Pryrates darüber Bescheid.« Miriamels Atem ging bebend.»Dann war er es wohl auch, der Hellnagel aus dem Grabhügel genommen hat.«
Cadrach hob abwehrend die Hand. »Pryrates bestrafte mich hart, weil ich bei Morgenes versagt hatte. Dann befahl er mir, eine Botschaft an den alten Jarnauga, hoch im Norden, zu senden und ihn um nähere Angaben über den Sturmkönig zu bitten. Ich hatte den Verdacht, dass er nach Wegen suchte, sich gegen diesen neuen und äußerst gefährlichen Freund zu schützen. Ich musste den Brief vor seinen Augen schreiben,
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