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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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gerechnet hatten, dann nur mit einem Nahkampf auf engstem Raum. Stattdessen hatten der verzweifelte Angriff der Unterirdischen im Dunkeln und die von ihnen ausgelösten Steinlawinen die Unsterblichen überrumpelt und dadurch Miriamel und den anderen die Flucht ermöglicht. Allerdings bildete sie sich nicht ein, die verschlagenen Nornen ein zweites Mal täuschen zu können.
    »Sie können uns zwingen, ewig so weiterzurennen«, sagte sie zu Yis-hadra. »Vielleicht seid ihr ausdauernder als sie, aber wir sind es nicht. Vor allem aber ist unser Volk über der Erde in Gefahr.«
    Binabik nickte. »Sie sagt dir die Wahrheit. Fliehen ist nicht genug. Wir bedürfen eines Weges, der hier hinausführt.«
    Die Unterirdische antwortete nicht, sondern blickte auf ihren Gatten, der hinter ihnen den Gang hinaufgehinkt kam, gefolgt vom letzten der Unterirdischen und Cadrach. Das Gesicht des Mönchs war so aschgrau, als wäre er verwundet, aber Miriamel sah keine Verletzungen an ihm. Sie drehte sich um, unwillig, Mitgefühl an ihn zu verschwenden.
    »Sie sind jetzt ein Stück zurückgeblieben«, erklärte Yis-fidri erschöpft. »Anscheinend sind sie zufrieden, uns weiterzutreiben.« Er lehnte sich gegen die Wand und schmiegte den Kopf an den Stein.Yis-hadra ging zu ihm und betastete mit den breiten Fingern vorsichtig die Pfeilwunde in seiner Schulter. »Sho-vennae ist tot, und noch drei andere«, ächzte er und flötete seiner Gattin einige Worte zu. Sie stieß einen Schmerzensschrei aus. »Zerbrochen wie empfindliche Kristalle. Zerstört.«
    »Wenn wir nicht geflohen wären, wären sie jetzt auch tot – und du und wir anderen ebenfalls.« Miriamel brach ab und gab sich Mühe, ihren Zorn und das Grauen vor den Nornen zu unterdrücken. »Vergib mir, Yis-fidri. Der Verlust deiner Freunde tut mir leid, und ich bin wirklich traurig darüber.«
    Schweiß perlte auf der Stirn des Unterirdischen und glitzerte im Licht der Stäbe. »Wenige trauern um die Tinukeda’ya«, erwiderte er leise. »Sie machen uns zu ihren Dienern, sie stehlen uns die Worte der Erschaffung, sie flehen uns sogar um Hilfe in der Not an – aber nur selten trauern sie um uns.«
    Miriamel schämte sich. Sicher meinte er damit, dass sie die Unterirdischen – und Niskies, dachte sie, und erinnerte sich an Gan Itais Opfer – ebenso missbraucht habe wie ihre einstigen Herren, die Sithi, es getan hatten.
    »Führ uns an einen Ort, von dem aus wir die Oberwelt erreichen«, bat sie. »Das ist alles, worum ich bitte. Dann geht mit unserem Segen, Yis-fidri.«
    Bevor der Unterirdische antworten konnte, sagte Binabik plötzlich: »Die Worte der Erschaffung. Wurden die drei Großen Schwerter alle mit diesen Erschaffungsworten geschmiedet?«
    Yis-fidri betrachtete ihn nicht ohne Misstrauen. Seine Gattin versorgte seine Schulter, und Yis-fidri zuckte vor Schmerzen zusammen. »Ja«, sagte er schließlich. »Es war nötig, um ihren Stoff zu binden – sie in Einklang mit den Gesetzen zu bringen.«
    »Was sind das für Gesetze?«
    »Die unveränderlichen Gesetze. Die Gesetze, die Stein zu Stein und Wasser zu Wasser machen. Man kann sie für kurze Zeit«, er suchte nach einem Wort, »ausdehnen oder abändern. Nie aber kann man sie aufheben.«
    Einer der Unterirdischen weiter hinten im Tunnel sprach besorgte Worte.
    »Imai-an sagt, er fühle, dass sie kommen«, rief Yis-hadra. »Wir müssen weiter.«
    Yis-fidri stieß sich von der Tunnelwand ab, und die Gruppe setzte sich wieder in ungleichmäßigen Trab. Miriamels müdes Herz pochte wild. Würde es denn nie ein Ende nehmen? »Hilf uns an die Oberfläche, Yis-fidri«, flehte sie. »Bitte!«
    »Ja! Wichtiger denn je ist es!«
    Binabik klang so verstört, dass Miriamel sich umdrehte. Der kleine Mann wirkte völlig verängstigt. »Was ist?«, fragte sie.
    Schweiß rann ihm über die dunkle Stirn. »Ich muss darüber nachdenken, Miriamel, doch niemals empfand ich Furcht wie diese. Zum ersten Mal glaube ich, dass ich hinter den Schleier sehe, der uns so lange hat erblinden lassen, und mein Kopf sagt mir – Kikkasut! Das auszusprechen! –, dass die Worte des Mönchs vielleicht die Wahrheit waren. Vielleicht können wir wirklich nichts mehr tun.«
    Er ließ die Sätze im Raum stehen, wandte sich ab und hastete hinter den Unterirdischen her. Als hätte seine plötzliche Verzweiflung sie angesteckt wie ein Fieber, fühlte Miriamel, wie alle Hoffnung sie verließ.

29
Die Hand des Nordens

    m den Gipfel von Sturmspitze heulten die Winde, aber

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