Der Engelsturm
nicht abschütteln ließ. »Und selbst wenn wir sie finden, haben wir jetzt keine Waffen mehr gegen den Sturmkönig.«
Binabik antwortete nicht. Der kleine Troll schien noch kleiner geworden zu sein. Er erhob sich und stapfte weiter die Stufen hinauf. Miriamel kehrte Cadrach den Rücken und folgte Binabik.
Jede Ordnung war dahin; vor den Mauern des Hochhorsts tobte ein kreischendes, knirschendes Chaos. Überall wimmelte es von bleichen Nornen und zottigen, brüllenden Riesen, die ohne erkennbare Rücksicht auf ihr eigenes Leben kämpften. Es war, als hätten sie nurein einziges Ziel: die Herzen ihrer Feinde mit Grauen zu erfüllen. Einer der Riesen hatte durch den Axthieb eines Kriegers den größten Teil eines Arms verloren, aber das gewaltige Ungetüm schwang den Stumpf, aus dem das Blut sprudelte, so wild wie die Keule in seiner anderen Hand; beides zusammen sprühte roten Nebel in die Luft. Andere Riesen waren noch unverwundet und häuften mit entsetzlicher Geschwindigkeit ganze Stapel von Leichen um sich herum auf. Die Nornen, kaum weniger wild, aber bei weitem listiger, bildeten kleine Kreise, in denen sie Schulter an Schulter standen, die nadelspitzen Spieße nach außen gerichtet. So schnell und kampfgewandt fochten die weißhäutigen Unsterblichen, dass es schien, als fielen für jeden der Ihren zwei oder drei Menschen. Und während sie kämpften, sangen sie, und ihre unheimlichen, schneidenden Stimmen übertönten selbst den Schlachtenlärm.
Und über allem schwelte das trübe, rote Glühen des Eroberersterns.
Herzog Isgrimnur hob Kvalnir hoch in die Luft und schrie nach Sludig und Hotvig, aber seine Stimme verklang im Getümmel. Er schwenkte sein Pferd im Kreis und versuchte eine Stelle zu finden, an der sich die Truppen konzentrierten, aber sein Heer war bereits in tausend Stücke zerfallen. Obwohl er sich schon einige Zeit tapfer geschlagen hatte, konnte er die Ereignisse immer noch nicht recht fassen. Der Angriff gegen Josuas Männer wurde von Geschöpfen geführt, die er nur aus alten Märchen kannte. Das Schlachtfeld, noch vor kaum einer Stunde ein blutiger, aber nicht ungewohnter Anblick, hatte sich in den Albtraum einer dämonischen Metzelei verwandelt.
Josuas Banner war heruntergerissen worden. Vergeblich suchte Isgrimnur nach einem Feldzeichen, um das seine Leute sich sammeln konnten. Plötzlich sank neben ihm ein Riese in den Schnee, wälzte sich sterbend und zerbrach dabei krachend ein Dutzend Pfeile in seinem Rücken. Erschrocken brach das Pferd des Herzogs aus und rannte davon, obwohl er es zu bändigen versuchte. Erst an einem etwas ruhigeren Fleck des Nordosthangs, in der Nähe des Kynswalds, blieb es stehen.
Als Isgrimnur es besänftigt hatte, steckte er Kvalnir in die Scheideund nahm den Helm ab. Dann zog er an seinem Wappenrock und stöhnte dabei über die Schmerzen in Rücken und Rippen. Zuerst hinderte ihn seine schwere Rüstung, das Kleidungsstück über den Kopf zu ziehen. Isgrimnur fluchte, schwitzte und zerrte, entsetzt von der Vorstellung, in dieser unwürdigen Haltung womöglich überrascht und erschlagen zu werden. Schließlich platzte der Wappenrock unter den Armen, sodass er ihn herunterreißen konnte. Dann sah er sich nach etwas um, an dem er ihn befestigen konnte. Im Schnee lag ein Nornenspieß. Isgrimnur zog sein Schwert und beugte sich ächzend nach unten, um den Spieß so anzuheben, dass er den langen Schaft fassen konnte. Als er ihn hatte, band er die Ärmel an das glatte, gräuliche Holz und starrte dabei auf die scharfe Spitze. Sie ähnelte einer Blume, deren Blütenblätter aus Messern bestanden. Als er fertig war, hob er das Notbanner über den Kopf und ritt zurück ins Schlachtgetümmel. Dabei brüllte er ein Rimmersgard-Kampflied, das nicht einmal er selbst hören konnte.
Er war bereits einem Hieb ausgewichen, den ein Norne mit seiner Axt gegen ihn geführt hatte, bevor ihm klarwurde, dass sein Helm noch immer am Sattelhorn baumelte. Kvalnir prallte erfolglos von der merkwürdigen, bemalten Rüstung des Gegners ab. Isgrimnur gelang es, den Gegenschlag mit dem Arm abzufangen; er trug nur einen Riss im Kettenpanzer und eine flache Fleischwunde davon. Aber der Norne bewegte sich geschickt durch den schlüpfrigen Schnee und umkreiste ihn schon zum nächsten Angriff. In diesem Augenblick wehte der Wind dem Herzog das Banner voll ins Gesicht.
Vom eigenen Hemd erschlagen, dachte Isgrimnur noch, dann schlug das Tuch schon wieder zurück. Ein dunkler Schatten
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