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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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erkämpft haben. Irgendwie hat man sie in eine Falle gelockt, um das Schwert in die Burg zu bringen.«
    Miriamel hämmerte mit den flachen Händen auf den Boden. »Was können wir nur tun?«
    Der Troll schielte wieder durch das Geländer. »Ich ahne es nicht«. Er schrie fast. »Keinen einzigen Gedanken habe ich. Kikkasut! Wenn wir zu ihnen gehen, wird man uns in Stücke schneiden – und das Schwert ist schon fast im Besitz der Feinde. Kikkasut!«
    »Ich sehe Flammen im Turmfenster«, verkündete Cadrach plötzlich mit lauter, ausdrucksloser Stimme.
    Miriamel warf einen kurzen Blick auf den Engels- und dann den Hjeldinturm. Aber abgesehen von dem brodelnden Wolkenknäuel über der hohen Spitze des Ersteren bemerkte sie nichts Ungewöhnliches.
    »Sieh!«, rief Binabik. »Etwas geht vor!« Es klang zornig und ratlos. »Was beginnen sie?«
    Josua, Camaris und ihr kleiner Trupp waren jetzt über die Brücke in den Hof des Inneren Zwingers getrieben worden. Aber die Söldner, die sich dort scheinbar wahllos drängten, versuchten nicht, sie aufzuhalten. Stattdessen öffnete sich in ihren Reihen etwas wie eine Lücke, ein Spalt, der sich allmählich zum Durchlass erweiterte und vom Fuß der Zugbrücke über den Burggraben bis zu den Eingangsstufen des Engelsturms führte. Als auch der Rest der königlichen Soldaten die Brücke überquert hatte, wurden Josua und die Seinen auf den Turm zu gezwungen. Erstaunlicherweise bedrohten die zu beiden Seiten versammelten Söldner sie so lange nicht, bis Camaris auf seinem fahlen Pferd einen seitlichen Ausfall versuchte, um sich einen Weg durch die Mauer der Feinde zu bahnen. Sofort leisteten die Männer des Königs verbissenen Widerstand. Die kleine Schar wurde zurückgeworfen und durch die Lücke weiter auf die wartenden Stufen des Engelsturms zugetrieben.
    »Der Turm!«, sagte Miriamel. »Sie zwingen sie in den Turm. Was soll das?«
    »Der Sithi-Ort!« Binabik sprang auf. Er hatte vergessen, dass sie sich eigentlich verstecken mussten. »Der Ort, an dem der Sturmkönig seine letzte Schlacht schlug. Dein Vater und Pryrates wollen die Schwerter dort haben.«
    Miriamel erhob sich mit wackligen Knien. Was ging hier Grausigesvor, so erbarmungslos und unentrinnbar wie der Würgegriff eines Albtraums? »Wir müssen zu ihnen, ganz gleich, wie. Vielleicht … vielleicht können wir ja doch noch etwas tun!«
    Binabik riss seinen Reisesack hoch, der hinter dem Balkonfenster am Boden gelegen hatte. »Wohin gehen wir, und wie kommen wir zu ihnen?«
    Miriamel sah erst auf ihn, dann auf den schweigenden Cadrach. Ihr Kopf war vollständig leer. Nur das Heulen des Windes nahm sie noch wahr. Endlich flackerte eine Erinnerung in ihr auf.
    »Folgt mir.« Sie schulterte Sack und Nornenbogen und rannte über den feuchten Stein zur Tür und weiter zur Treppe. Binabik hastete hinterher. Nach Cadrach drehte sie sich nicht um.

    Tiamak und Josua kämpften sich die Treppe hinauf und versuchten mühsam und schwer atmend, dicht hinter Camaris zu bleiben. Einen Treppenabsatz weiter oben kletterte der Ritter so stetig und geistesabwesend wie ein Schlafwandler. Seine kraftvollen Beine trugen ihn mit jedem Schritt gleich zwei Stufen höher.
    »Wie kann eine Treppe nur so endlos sein?«, schnaufte Tiamak. Sein lahmes Bein pochte.
    »Es gibt Geheimnisse an diesem Ort, von denen ich mir nie hätte träumen lassen.« Josua hielt die Fackel hoch, und Schatten hüpften an den reichgegliederten Wänden von Spalte zu Spalte.
    »Wer hätte gedacht, dass eine ganze Welt unter unseren Füßen lag?«
    Der Wranna schauderte. Die Nornenkönigin, die in ihrer silbernen Maske über dem heiligen Teich der Sithi schwebte, war eines der Geheimnisse, von denen er wünschte, sie niemals entdeckt zu haben. Ihre Worte, ihre eisige Unbezwingbarkeit und vor allem die furchtbare Macht, von der die Höhle des Teichs der Drei Tiefen erfüllt gewesen war, verfolgten ihn noch immer, während er die riesige Treppe hinaufstieg.
    »Jetzt rächt sich unsere Unwissenheit«, ächzte er. »Wir kämpfen gegen Wesen, die wir bislang nur geahnt oder in unseren Albträumenerblickt haben. Die Sithi stehen in tödlichem Ringen mit dieser … diesem Gespenst … sie kämpfen und sterben … und wir kennen nicht einmal den Grund.«
    Josua löste den Blick von dem alten Ritter und sah Tiamak an. »Ich dachte immer, das sei die Aufgabe des Schriftrollenbundes – Dinge wie diese zu wissen.«
    »Unsere Vorgänger wussten mehr als wir«, erklärte der Wranna.

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