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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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kein Glied und machte einen benommenen Eindruck. Josua war nur eine Armlänge hinter ihm. Er hatte Naidel gezogen und hielt es locker in der Hand. Zwei Dutzend Schritte vor ihnen, auf der anderen Seite des Steinbodens, befand sich eine zweite Tür, das Spiegelbild der gerade von Camaris eingetretenen. Rechts von Tiamak führte unter einem hohen Mauerbogen eine breite Treppenflucht nach oben.
    Aber es waren die Männer auf den untersten Stufen dieser Treppe, die Tiamaks – wie vorher schon Josuas – Blick fesselten und nicht wieder losließen: vor allem der kahlköpfige Mann im wogenden roten Gewand, der zwischen den verstreut umherliegenden menschlichen Körpern so hoch aufragte wie ein Fischer im seichten Bach. Einen Gepanzerten hielt er noch bei den Schultern gepackt, obwohl die Art, wie der goldbehelmte Kopf des Kriegers schwankte, verriet, dass er längst aufgehört hatte zu kämpfen.
    »Verdammt, Pryrates, lasst ihn los!«, schrie Josua.
    Der Priester lachte. Er zuckte die Achseln und schleuderte den Mann mühelos von sich. Es war … Camaris, der krachend auf den Steinfliesen landete und sich nicht mehr rührte, das schwarze Schwert noch fest in der Faust.
    Tiamak, sprachlos vor Staunen, glotzte ihn mit großen Augen an. Der Camaris, dem Josua und er gefolgt waren, stand noch immer vor ihnen, leicht vor sich hin schwankend wie ein Baum im steifen Wind. Konnte es denn zwei von ihnen geben? Wer lag dort am Boden?
    »Isorn!«, brüllte Josua, heiser vor Schmerz. Tiamak fiel auf einmalalles wieder ein, und das Entsetzen wollte ihm fast die Kehle zudrücken. Das war also aus ihrem Täuschungsmanöver geworden, das sie sich mit den Sithi ausgedacht hatten – diese Schar lebloser Gestalten? Fast ein Dutzend Männer, unter ihnen der starke, junge Isorn, mit bloßen Händen bezwungen von diesem Priester? Wer konnte Pryrates und seinen unsterblichen Verbündeten jetzt noch aufhalten? Josua und seine Gefährten besaßen nur eines der drei Großen Schwerter, und Camaris, der es führte, schien in Traum und Betäubung versunken.
    »Dafür reiße ich Euch das Herz aus dem Leib!«, zischte Josua und sprang auf die Treppe zu. Pryrates hob die Hand. Ein ölig gelber Schein umflackerte seine Finger. Als Naidel in weitem, tödlichem Bogen auf ihn zusauste, schoss die Hand des Alchimisten vor und packte die Klinge. Dort, wo Finger und Schwert sich berührten, zischte es, als werfe man einen glühenden Stein in kaltes Wasser; dann griff der Priester nach Josuas Schwertarm und zerrte. Der Prinz wehrte sich und schlug mit dem anderen, handlosen Arm auf Pryrates ein. Aber der Priester packte auch den zweiten Arm und zog Josua an sich heran, bis ihre Gesichter so dicht voreinander standen, dass der Alchimist den Prinzen küssen könnte.
    »Es ist fast zu leicht«, bemerkte Pryrates lachend.
    Tiamak, schwach vor Furcht, glitt in den Schatten der Tür zurück. Ich muss etwas tun – aber wer bin ich? Er konnte kaum aufrecht stehen. Ein kleiner Mann, ein Nichts, kein Kämpfer! Er würde mich fangen und töten wie ein winziges Fischlein.
    »Für Euch ist keine Hölle tief genug«, knirschte Josua. Schweiß strömte über sein Gesicht, und sein Schwertarm zitterte. Hilflos wie ein Kind hing er im Würgegriff des Priesters.
    »Und ich habe vor, sie mir alle anzusehen.« Wieder streckte Pryrates die Arme aus, und das gelbe Licht umflackerte ihn. »Ihr seid einer der wenigen, die mir widerstanden haben, Ohnehand. Jetzt werdet Ihr sehen, wozu Eure Einmischung führt – zu nichts.« Er schleuderte Josua gegen den Mauerbogen.
    Der Prinz prallte hart auf, rutschte ab und kam regungslos neben einem Mann zu liegen, der seinen eigenen grauen Wappenrock und seine Rüstung trug – Brindalles, der Bruder des Nabbanai-BaronsSeriddan. Der rechte Arm des Mannes endete wie bei Josua in einer schwarzen Lederstulpe, aber Brindalles’ Arm war auf eine Weise verrenkt, bei der sich Tiamak der Magen umdrehte. Das blasse, blutbefleckte Gesicht des falschen Josua zeigte kein Leben.
    Tiamak drückte sich noch tiefer in den Schatten, aber Pryrates achtete gar nicht auf ihn. Stattdessen stieg der Priester ein paar weitere Stufen hinauf, drehte sich dann um und sah Camaris an.
    »Kommt, Alter«, sagte er und lächelte. Das leere und freudlose Grinsen erinnerte Tiamak an ein Krokodil. »Ich fühle, wie sich der Zauber verdichtet, und das heißt, dass die Zeit gekommen ist. Ihr braucht Eure Last nicht mehr weit zu tragen.«
    Camaris machte einen Schritt auf ihn zu,

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