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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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blieb dann aber stehen und schüttelte langsam den Kopf. »Nein«, murmelte er rauh. »Nein. Ich werde es nicht zulassen …« Etwas von seinem wahren Ich war offenbar zurückgekehrt. Tiamak spürte einen Hauch von Hoffnung.
    Pryrates kreuzte nur die Arme über der scharlachroten Brust. »Ich werde Euren Widerstand mit großer Anteilnahme verfolgen. Natürlich werdet Ihr keinen Erfolg haben. Der Sog des Schwertes ist stärker als ein Mensch, auch stärker als eine abgehalfterte Legende, wie Ihr es seid.«
    »Verdammt sollt Ihr sein«, keuchte Camaris. Sein Körper zuckte, und er verlagerte das Gleichgewicht von einer Seite zur anderen, als kämpfe er gegen etwas Unsichtbares, das ihn auf die Treppe zuzerren wollte. Mit schmerzhaftem Stöhnen holte er Atem. »Was seid Ihr für ein Geschöpf?«
    »Geschöpf?« Pryrates’ haarlose Züge wirkten belustigt. »Ich bin das, was ein Mann werden kann, der sich keiner Grenze fügt.«
    Noch während diese letzten Worte in der Luft hingen, gab es plötzlich einen Knall und eine Erschütterung. Dort, wo die Tür auf der anderen Seite der Halle gewesen war, wogte eine trübe Wolke, durch die ein paar undeutliche Gestalten hereinstolperten. Wer es war, konnte man in dem Qualm nicht ausmachen.
    »Wie dramatisch«, meinte Pryrates höhnisch, aber Tiamak sah, wie das Gesicht des Alchimisten sich belebte und weniger kalt wirkte als vorher. Der Priester stieg eine Stufe hinunter und spähte in den Dunst. Eine Sekunde später prallte er gurgelnd zurück. Ein schwarzerPfeil durchbohrte seinen Hals. Die Spitze ragte eine Handbreit aus der Haut. Pryrates taumelte und brach zusammen. Er rollte die Treppe hinab und fiel neben seine Opfer. Unter seinem Kopf bildete sich eine Blutlache, als würden die grellroten Gewänder schmelzen und zerfließen.

    Miriamel sah die engen Korridore hinauf und hinunter und versuchte mühsam sich zu orientieren. Schon damals, als sie noch in der Burg gewohnt hatte, war die Staatskanzlei ein abschreckender Irrgarten gewesen, aber jetzt kam sie ihr noch viel verworrener vor. Altbekannte Türen und Durchgänge waren nicht mehr dort, wo sie hätten sein sollen, und alle Korridore schienen ihre Länge verändert zu haben, so als sei die Kanzlei plötzlich zu etwas Unbeständigem und Fließendem geworden. Miriamel strengte sich an, einen klaren Kopf zu behalten. Sie war zwar sicher, dass sie irgendwann einen Weg finden würde, fürchtete aber, kostbare Zeit zu verlieren.
    Während sie auf ihre Gefährten wartete, trieb ihr der eisige Wind, der durch die offenen, ladenlosen Fenster pfiff, ein paar zerknitterte Pergamente vor die Füße.
    Binabik kam um die Ecke getrabt. »Meine Meinung war nicht, dass du auf mich warten solltest«, pustete er. »Ich habe nur angehalten, weil ich diese hier bemerkte. Sie sind durch das Fenster geflogen, denke ich.« Er reichte ihr drei Pfeile, die von einfacherer Machart waren als die früher erbeuteten Nornenpfeile. »Es gab noch mehr, aber sie waren zerbrochen, denn sie hatten die Steinwände getroffen.«
    Miriamel besaß keinen Köcher. Sie steckte die Pfeile in die offene Ecke ihres Reisesacks neben Simons kostbares Stück und die Geschosse, die sie aus den Tunneln mitgenommen hatte.
    Noch immer verfügte sie über weit weniger Munition, als ihr lieb war, aber immerhin war es tröstlich, dass sie ihr Leben im Notfall nicht allzu billig verkaufen musste.
    Schau mich an, dachte sie verwundert. Das Ende der Welt steht bevor, der Tag des Abwägens ist endlich gekommen … und ich spiele hier Soldat.
    Immerhin war das besser, als der eigenen Furcht nachzugeben.
    Sie fühlte deutlich, wie sich das Entsetzen in ihr zusammenballte, und wusste, dass sie verloren war, wenn sie auch nur für einen Augenblick aus der Fassung geriet.
    »Ich habe nicht gewartet.« Sie trat von der Wand weg. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass der Weg richtig ist. Man konnte sich hier immer schwer zurechtfinden, aber jetzt ist es fast unmöglich. Und das liegt nicht allein daran …« Sie deutete auf die zertrümmerten Möbel und die gespenstischen Pergamentfetzen, die aus den Angeln gesplitterten Türen, die mitten im Gang lagen. »Nein, es gibt hier noch andere Veränderungen, Dinge, die ich nicht verstehe. Aber ich glaube, dass ich jetzt weiß, wo es langgeht. Wir müssen leise sein, Wind oder nicht – wir befinden uns schon fast an der Kapelle, und die grenzt an den Turm.«
    »Cadrach kommt.« Der Troll sagte es, als glaube er, es liege ihr

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