Der Engelsturm
beendeten Krieg ihre Familien verloren, sei es durch Tod, sei es durch Vertreibung. Wer noch Land oder Angehörige zu beschützen hatte, trug kein Verlangen danach, von neuem in den Kampf zu ziehen, so edel oder wichtig die Sache auch sein mochte, und Eolair konnte es ihnen auch nicht befehlen, denn dieses Recht stand den Grundherren bereits seit König Tethtains Zeiten nicht mehr zu.
Nad Mullach war insgesamt weniger übel mitgespielt worden als Hernysadharc. Trotzdem hatte es während der Eroberung durch Skali stark gelitten. In der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, hatte Eolair die wenigen seiner Dienstleute zusammengerufen, dieam Ort geblieben waren, und sein Bestes getan, wieder geregelte Verhältnisse einkehren zu lassen. Wenn es ihm je beschieden sein sollte, aus diesem verrückten Krieg, der jeden Tag verrückter wurde, wieder nach Hause zu kommen, hatte er nur noch diesen einen Wunsch: so schnell wie möglich jede Verantwortung abzulegen und in seinem geliebten Nad Mullach zu bleiben.
Seine Lehnsleute hatten dem kleinen Teil von Skalis Heer, das er zurückließ, um sie zu belagern, lange Widerstand geleistet. Aber als die in den Mauern der Burg Eingeschlossenen zu verhungern begannen, hatte Eolairs Base und Burgvögtin Gwynna, eine strenge, tüchtige Frau, den Rimmersmännern die Tore geöffnet. Viele von den schönen Dingen, die sich seit Sinnachs Bündnis mit dem Erlkönig im Besitz von Eolairs Familie befunden hatten, waren zerstört oder geraubt, und auch vieles, das Eolair selbst von seinen Reisen durch Osten Ard mitgebracht hatte, war verloren. Immerhin, tröstete er sich, die Mauern standen noch, die Felder unter ihrer Schneedecke waren noch fruchtbar, und nach wie vor rauschte, ohne sich um Krieg und Winter zu kümmern, der breite Baraillean auf seinem Weg nach Abaingeat und zum Meer an Nad Mullach vorüber.
Der Graf hatte Gwynna für ihre Entscheidung gelobt und ihr versichert, dass er an ihrer Stelle nicht anders gehandelt hätte. Das tröstete sie indes nur wenig – der Anblick von Skalis landfremden Truppen in ihrem großen Haus war für sie das Bitterste gewesen, das sie sich vorstellen konnte.
Vielleicht, weil ihr Anführer im fernen Hernysadharc saß, vielleicht auch, weil sie nicht zu Skalis eigenem Stamm, den grausamen Kaldskrykern, gehörten, hatten sich die Fremden während ihrer Besatzung weniger verhasst gemacht als die Eroberer in anderen Gebieten von Hernystir. Zwar hatten auch sie die besiegten Gefangenen schlecht behandelt, nach Herzenslust geplündert und Gegenstände zerschlagen, aber sie hatten sich nicht durch Vergewaltigung, Folter und sinnloses Morden zerstreut, wie es für Skalis Hauptheer auf seinem Zug nach Hernysadharc typisch gewesen war.
Doch obwohl die Schäden am Sitz seiner Vorfahren vergleichsweise erträglich waren, erfüllte Eolair, als er Nad Mullach wieder verließ, ein tiefes Gefühl von Demütigung und Scham. Seine Ahnenhatten die Burg erbaut, um von dort aus über ihren Teil des Flusstals zu wachen. Jetzt hatte man ihre Feste angegriffen und bezwungen, während der Graf nicht einmal zu Hause gewesen war. Seine Diener und Verwandten hatten sich allein durchschlagen müssen.
Ich habe meinem König gedient, dachte Eolair. Was hätte ich denn tun sollen?
Es gab keine Antwort darauf, aber das machte es ihm nicht leichter, die Erinnerung an geborstene Steine, verkohlte Wandteppiche und verängstigte, hohläugige Menschen zu ertragen. Selbst wenn Krieg und Geisterwinter schon morgen plötzlich ein Ende fänden – das Unglück war geschehen.
»Möchtet Ihr noch etwas essen, Herrin?«, fragte Eolair.
Er fragte sich, was Maegwin in ihrem Wahn wohl von der recht armseligen Verpflegung hielt, die ihnen auf der Reise nach Naglimund zur Verfügung stand. Natürlich durfte man in einem so vom Krieg verwüsteten Land nicht mehr erwarten, aber der Graf konnte sich kaum vorstellen, dass man hartes Brot und zähe Zwiebeln als der Götter würdige Speise ansehen konnte.
»Nein, Eolair, vielen Dank.« Maegwin schüttelte mild lächelnd den Kopf. »Selbst in einem Reich unendlicher Wonne muss man gelegentlich der Wonne entsagen.«
Unendlicher Wonne! Der Graf musste unwillkürlich lächeln. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, verrückt zu sein wie Maegwin – zumindest bei den Mahlzeiten.
Gleich darauf schalt er sich wegen des boshaften Gedankens. Sieh sie dir an – sie ist wie ein Kind. Sie kann nichts dafür – vielleicht ist ja doch Skalis Hieb an
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