Der Engelsturm
sich einen Weg durch die wolligen Hindernisse suchte.
»Sisqi!«, rief er. »Wo bist du? Ich muss mit dir sprechen.«
Sie saß mit untergeschlagenen Beinen am Boden und zog die Knoten am Geschirr ihres Widders an. Um sie herum waren mehrere andere Trolle mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt, bevor das Heer des Prinzen seinen Marsch nach Nabban fortsetzte. »Hier bin ich, Binabik.«
Er sah sich um. »Können wir reden, wo es ruhiger ist?«
Sisqi nickte und legte das Geschirr hin. »Ja.«
Die beiden schlängelten sich durch die dichtgedrängte Widderherde und stiegen den kleinen Hügel hinauf. Dort setzten sie sich ins Gras. Unter ihnen regte sich geschäftig das Lager. Die Zelte waren schon am frühen Morgen abgebaut worden, und alles, was von der kleinen Stadt, die drei Tage dort gestanden hatte, noch übriggeblieben war, war eine formlose, wimmelnde Masse von Menschen, Trollen und Tieren.
»Du machst dir Sorgen«, begann Sisqi ohne weitere Einleitung. »Sag mir, was nicht in Ordnung ist, Liebster – auch wenn wir in den letzten Tagen so viel Unglück gesehen haben, dass es ausreicht, jeden von uns für lange Zeit traurig zu machen.«
Binabik nickte seufzend. »Allerdings. Geloës Verlust trifft mich hart, und nicht allein ihrer Weisheit wegen. Auch sie selbst fehlt mir, Sisqi. Wir werden ihresgleichen nicht wieder begegnen.«
»Aber das ist nicht alles«, forderte Sisqi ihn sanft zum Weiterredenauf. »Ich kenne dich, Binbineqegabenik. Sind es Simon und die Prinzessin?«
»Ja – sie beunruhigen mich. Schau her, ich will dir etwas zeigen.« Er nahm die einzelnen Teile seines Wanderstabes auseinander. Ein langer, weißer Schaft mit blaugrauer Steinspitze glitt heraus.
»Das ist Simons Pfeil.« Sisqi starrte ihn an. »Das Geschenk der Sithi. Hat er ihn zurückgelassen?«
»Nicht absichtlich, denke ich. Ich fand ihn in einem der Hemden stecken, die Gutrun Simon genäht hat. Er hat kaum mehr mitgenommen als die Kleider, die er am Leib trug, aber den Sack mit seinen größten Schätzen hat er nicht vergessen – mit Jirikis Spiegel, einem kleinen Stein von Haestans Grabhügel, ein paar anderen Sachen. Ich glaube, der Weiße Pfeil ist versehentlich hiergeblieben. Vielleicht hatte er ihn aus irgendeinem anderen Grund aus dem Sack herausgenommen und dann vergessen, ihn wieder hineinzutun.« Binabik hob den Pfeil in die Höhe, bis die Morgensonne darauf fiel und das Holz zum Glänzen brachte »Er erinnert mich an … gewisse Dinge«, meinte er langsam. »Er ist das Unterpfand für Jirikis Schuld an Simon. Eine Schuld, die nicht geringer ist als das, was ich als Erbe meines Meisters Ookequk Doktor Morgenes schulde.«
In Sisqis Gesicht trat ein jäher Ausdruck von Angst, den sie sofort zu verbergen versuchte. »Was meinst du, Binabik?«
Der Troll sah traurig auf den Pfeil. »Ookequk versprach Morgenes seine Hilfe. Ich übernahm diesen Eid von ihm. Ich schwor, den Jungen Simon zu beschützen und dadurch Morgenes zu helfen, Sisqi.«
Sie ergriff seine Hand. »Das und noch viel mehr hast du getan, Binabik. Gewiss sollst du ihn nicht für den Rest deines Lebens Tag und Nacht bewachen.«
»Darum geht es nicht.« Vorsichtig schob er den Pfeil wieder in seinen Wanderstab. »Es gibt noch andere Dinge als meine Schuld, Sisqi. Sowohl Simon als auch Miriamel befinden sich schon deshalb in Gefahr, weil sie allein durch ein wildes Land reisen, wenn ihr Ziel aber der Hochhorst ist, was ich befürchte, steht es noch viel schlimmer. Darüber hinaus aber gefährden sie auch uns andere.«
»Wieso?«
»Wenn man sie gefangen nimmt, wird man sie schließlich vor Pryrates, König Elias’ Ratgeber, bringen. Du kennst ihn nicht, Sisqi, aber ich kenne ihn, zumindest vom Hörensagen. Er ist mächtig und rücksichtslos im Gebrauch seiner Macht, und er ist grausam. Er wird alles aus ihnen herausbekommen, was sie über uns wissen, und Simon und Miriamel wissen eine Menge – über unsere Pläne, die Schwerter, über alles. Um dieses Wissen zu erlangen, wird Pryrates sie töten – beide, auf jeden Fall aber Simon.«
»Das heißt, du willst sie suchen?«, fragte sie langsam.
Binabik senkte den Kopf. »Ich glaube, ich muss es tun.«
»Aber weshalb du? Josua hat ein ganzes Heer!«
»Dafür gibt es Gründe, Liebste. Begleite mich zu Josua, dann wirst du sie hören. Du solltest ohnehin an dieser Unterredung teilnehmen.«
Trotzig blickte sie ihn an. »Wenn du ihnen nachreitest, folge ich dir.«
»Und wer sorgt dann für die
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