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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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krümmte sie. Die Luft um Miriamels Hand wurde plötzlich heiß. Der Pfeil zerbrach. Der jäh entspannte Bogen wäre ihr fast aus der Hand geflogen.
    »Es ist nicht so angenehm, sich Pfeile aus dem Körper zu ziehen, dass ich den ganzen Tag hier stehe und mich von dir spicken lasse, Mädchen.« Er drehte sich nach Cadrach um.
    Die beschädigte Türöffnung hinter dem Mönch, vom Schutzzauber des Alchimisten versperrt, war voller wogender Schatten und scharlachroter Streifen. Der Priester winkte. »Padreic, komm her.«
    Cadrach stieß ein schwaches Stöhnen aus, stand auf und wankte einen Schritt vorwärts.
    »Tut es nicht!«, rief Miriamel ihm zu.
    »Sei nicht so grausam«, spottete Pryrates. »Er möchte seinem Herrn doch seine Aufwartung machen.«
    »Wehrt Euch, Cadrach!«
    Der Priester legte den Kopf schief. »Genug! Ich werde ohnehin bald gehen und mich um meine Pflichten kümmern müssen.« Wieder hob er die Hand. »Komm her, Padreic.«
    Schwitzend und murmelnd taumelte der Mönch auf ihn zu. Unter Miriamels hilflosem Blick sackte er zu Pryrates’ Füßen zusammen, das Gesicht auf den Stein gepresst. Zitternd rutschte er heran und legte die Wange an den schwarzen Stiefel des Priesters.
    »Schon besser«, säuselte Pryrates. »Ich freue mich, dass du nicht so töricht bist, mich herauszufordern – und dass du dich erinnerst. Ich fürchtete schon, du hättest mich auf deinen Reisen vergessen. Wo warst du eigentlich, kleiner Padreic? Wie ich sehe, hast du mich verlassen und dich mit Verrätern zusammengetan.«
    »Ihr selbst seid der Verräter«, mischte sich jetzt Binabik ein. Er verzog das Gesicht, als Camaris sich bewegte und endlich doch versuchte, den Troll von seinen Beinen abzuschütteln. »Ihr habt Morgenes verraten und meinen Meister Ookequk und alle anderen, die Euch aufgenommen und in ihre Geheimnisse eingeweiht haben.«
    Der Priester sah belustigt zu ihm hinüber. »Ookequk? Du bist also der Laufbursche des dicken Trolls? Das ist ja ausgezeichnet. Alle meine alten Freunde haben sich versammelt, um diesen Tag mit mir zu feiern.«
    Camaris war aufgestanden. Binabik wollte ihn festhalten, aber der alte Mann griff nach unten und streifte ihn mühelos ab. Dann richtete er sich auf, das schwarze Schwert locker in der Hand. Er tat ein paar zögernde Schritte auf die Treppe zu.
    »Es dauert nicht mehr lang«, sagte Pryrates. »Der Ruf ist sehr stark.«
    Noch einmal wendete er Miriamel seine Aufmerksamkeit zu. »Ich fürchte, wir werden unsere Unterhaltung später fortsetzen müssen. Das Ritual erreicht in Kürze eine empfindliche Stelle. Meine Anwesenheit wird verlangt.«
    Miriamel, die verzweifelt versuchte, ihn abzulenken und von ihrem Onkel und ihrem Vater fernzuhalten, fragte: »Warum tut Ihr das alles, Pryrates? Was könnt Ihr dabei gewinnen?«
    »Gewinnen? Oh, alles. Weisheit, tiefer als du es dir vorstellen kannst, mein Kind. Das ganze Weltall nackt vor meinen Augen, nicht das kleinste Geheimnis mehr vor mir verborgen.« Er breitete die Arme aus, und es schien fast, als wachse er. Sein Gewand wogte, und in der Halle wirbelte Staub auf. »Ich werde Dinge erfahren, die selbst die Unsterblichen nur ahnen können.«
    Camaris schrie plötzlich auf, wie von einem Dolchstich getroffen, und stolperte auf die große Treppe zu. Im selben Augenblick läutete irgendwo über ihnen wieder die große Glocke, und alles wankte und schlingerte. Vor Miriamels Blick verschwamm die Halle. Flammen leckten an den Wänden und vergingen mit dem Echo, das verhallte.
    In Miriamels Kopf drehte sich alles. Pryrates schien ungerührt. »Das bedeutet, dass der Augenblick unmittelbar bevorsteht«, erklärte er. »Du hoffst, dass ich hierbleibe, während Josua seinem Bruder gegenübertritt.« Er schüttelte den kahlen Kopf.
    »Dein Onkel kann das Kommende so wenig aufhalten, wie er diese Burg auf seinen Schultern forttragen könnte. Und du kannst es genauso wenig. Ich hoffe, ich finde dich wieder, wenn alles vorbei ist, meine kleine Miriamel – ich bin nicht sicher, was übrigbleiben wird, aber es wäre schade, dich zu verlieren.« Seine kalten Augen streiften sie. »Es gibt so vieles, das wir gemeinsam tun können. Und wir werden so viel Zeit dazu haben, wie wir nur wollen – notfalls die ganze Ewigkeit.«
    Miriamel fühlte, wie sich eine eisige Faust um ihr Herz krampfte.
    »Aber Ihr habt versagt!«, schrie sie ihn an. »Das andere Schwert ist nicht hier! Ihr habt versagt, Pryrates!«
    Er lächelte höhnisch. »Habe ich

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