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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Simon, Miriamel, ich war nie zum Herrschen geboren. Allein der Gedanke daran quälte mich, aber ich sah keinen anderen Weg, als Elias zu stürzen, um uns alle zu retten. Jetzt hat mir Gott eine Tür geöffnet, von der ich glaubte, sie sei mir auf immer verschlossen. Zu sterben oder die Krone zu nehmen – etwas anderes blieb mir nicht übrig. Jetzt ist mir ein neuer Weg gewiesen worden.«
    Simon schwieg bestürzt. Auch Miriamel sagte nichts. Josua betrachtete die beiden, ein Lächeln auf den Lippen.
    »Ich weiß, es ist erschreckend.« Der Prinz wandte sich an seine Nichte. »Aber du wirst eine weit bessere Herrscherin sein, als ich es je gewesen wäre – zusammen mit Simon.«
    »Aber Ihr seid Johans wahrer Erbe«, widersprach Simon, »mehr noch als Miriamel. Und ich bin nur ein Küchenjunge, den Ihr zum Ritter geschlagen habt. Ich soll ein Nachkomme des heiligen Eahlstan sein, aber das bedeutet mir nichts. Ich bin deshalb noch lange nicht dazu geeignet, Erkynland oder irgendetwas anderes zu regieren.«
    »Ich habe diese Geschichte schon gehört, Simon. Isgrimnur und die anderen sind nicht gut darin, ein Geheimnis zu bewahren – wenn sie es überhaupt vorgehabt haben.« Er lachte leise. »Und es hat mich gar nicht überrascht, dass Ihr von Eahlstan Fiskernes Blut seid. Aber ob Euch das nun zu einem besseren Herrscher macht oder nicht, Simon – Ihr wisst immer noch nicht alles. Ich bin so wenig Johans Erbe, wie Ihr es seid.«
    »Was soll das heißen?« Simon bewegte sich, damit Miriamels Kopf bequemer an seiner Brust lag. Sie sah jetzt nicht mehr Josua an, sondern blickte zu ihm auf, eine besorgte oder vielleicht auch nachdenkliche Falte zwischen den Brauen.
    »Was ich gesagt habe«, erwiderte der Prinz. »Ich bin nicht Johans Sohn. Camaris ist mein Vater.«
    Simon blieb die Luft weg. »Camaris?«
    Jetzt starrte auch Miriamel den Prinzen erschrocken an. »Wovon redest du, Onkel?«
    »Johan war alt, als er meine Mutter, Efiathe von Hernysadharc, heiratete«, begann Josua. »Wie weit sie an Jahren voneinander entferntwaren, sieht man schon daran, dass er keine Bedenken empfand, ihr einfach einen neuen Namen zu geben – Ebekah –, als wäre sie ein kleines Kind gewesen.« Er runzelte die Stirn. »Was danach kam, ist nicht weiter überraschend. Vielmehr ist es eine der ältesten Geschichten der Welt, obwohl ich nicht daran zweifle, dass meine Mutter den König liebte und er sie auch. Aber Camaris war ihr besonderer Beschützer, ein junger Mann und ein ebenso gewaltiger und berühmter Held wie Johan. Was als gegenseitige Hochachtung und Bewunderung anfing, wurde bald zu mehr.
    Elias war Johans Kind, ich nicht. Als meine Mutter bei meiner Geburt starb, verlor Camaris den Verstand. Was konnte er anderes denken, als dass seine Sünde das Todesurteil für seine Geliebte, die zugleich die Frau seines besten Freundes war, bedeutet hatte?« Der Prinz seufzte. »Seine Qual war so groß, dass er alles verschenkte, was er besaß, wie jemand, der weiß, dass er sterben wird – und dieses Gefühl muss er gehabt haben, denn jeder Atemzug, jede Sekunde waren für ihn voller Pein und grausamer Scham. Zuletzt nahm er das Horn Ti-tuno und machte sich auf die Suche nach den Sithi, vielleicht, weil er dafür büßen wollte, dass er an Johans Hatz auf sie teilgenommen hatte, vielleicht auch, weil er – wie später Elias – hoffte, die weisen Unsterblichen könnten ihm helfen, mit seiner Geliebten über den Tod hinaus in Verbindung zu bleiben. Was immer er mit seiner Pilgerfahrt bezweckte, Amerasu brachte ihn heimlich nach Jao é-Tinukai’i; sie hatte ihre eigenen Gründe dafür. Ich konnte nicht alles darüber in Erfahrung bringen; als mein Vater mir davon berichtete, war er so verstört, dass ich ihm manchmal kaum folgen konnte.
    Jedenfalls empfing ihn Amerasu und nahm das Horn von ihm zurück, sei es, um es für ihn aufzuheben, sei es, weil es ihren verlorenen Söhnen gehört hatte. Was sich im Einzelnen zwischen ihr und ihm abspielte, bleibt ein Geheimnis, aber offenbar konnte sie ihm keinen Trost bieten. In tiefem Schmerz verließ mein Vater das Herz des Waldes. Seine Verzweiflung wuchs so sehr, dass sie endlich sogar den Abscheu vor der Sünde des Selbstmords überwog, und so warf er sich in der Bucht von Firannos von einem Schiff ins Meer. Irgendwie blieb er am Leben – ihr wisst, wie ungeheuer stark er ist; etwas,das er mir mit Sicherheit nicht vererbt hat! –, aber sein Verstand war umnachtet. Er wanderte durch das

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